Die Geldpolitik ist häufig eine Politik der Worte, die allerdings durchaus Wirkung zeigt. Der jüngste Auftritt der EZB-Präsidentin Christine Lagarde veranschaulicht dies nur zu gut. Auf der Pressekonferenz nach der Sitzung des geldpolitischen Ausschusses vom 9. September kommentierte sie ihre eigenen Massnahmen und erklärte hinsichtlich der Reduzierung der Wertpapierkäufe durch die Zentralbank: „The Lady is not tapering, she’s recalibrating“. Sprich: Sie signalisiert eine „Rekalibrierung, aber noch kein Tapering“.
EZB drosselt Tempo bei Anleihekäufen
Der Markt nahm die Nachricht, die er ohnehin erwartet hatte, sehr gut auf – zumal sie nett verpackt ist: „Rekalibrieren“ klingt viel sanfter als „geldpolitische Unterstützung verringern“. Dennoch handelt es sich genau darum: Statt weiterhin Anleihen für fast 80 Milliarden Euro pro Monat im Rahmen des PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) zu kaufen, wird die EZB diesen Betrag leicht reduzieren. „Reduzieren“ klingt aber immer noch zu negativ. Die EZB setzt also die Käufe fort, jedoch in einem „moderat geringeren“ Tempo. Wie viel geringer? Das ist nicht bekannt. Wäre ein konkreter Betrag zu beängstigend? Viele rechnen allerdings mit einer Verringerung in der Größenordnung von 10 bis 20 Milliarden Euro pro Monat.
Um es klar zu sagen: Zumindest im Rahmen dieses Programms (denn es gibt noch andere) handelt es sich sehr wohl um eine Drosselung der geldpolitischen Unterstützung. Hierbei kommt die EZB zur Abwechslung einmal der US-Notenbank ein wenig zuvor, die jüngst äußerte, dass ein Tapering geprüft werde. In diesem Fall wurde das Tabuwort auch verwendet. Bei einem Tapering geht es um eine echte Verringerung der Geldmenge.
Kein Grund zur Sorge für die Märkte
Die Aussichten auf diese „Rekalibrierungen“ könnten die Märkte auf den ersten Blick beunruhigen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Warum?
Erstens sind sie in dieser Phase des Zyklus völlig berechtigt. In den wohlhabenden Ländern zeigen sich Wachstum und Inflation ungewohnt stark. Diese Stärke steht zwar auf wackligen Beinen, zumal sie zu großen Teilen kreditfinanziert ist (auch im ökologischen Sinne), doch sie ist unbestreitbar vorhanden. Die hohe Inflation könnte sich als nachhaltiger erweisen als erwartet, sodass sich die Notenbanken gezwungen sehen, die Geldpolitik stärker zu straffen als geplant. Die Zukunft wird es zeigen.
Zweitens gibt es zumindest bei der EZB ein weiteres, älteres Kaufprogramm: das APP (Asset Purchase Programme) mit einem Volumen von derzeit 20 Milliarden Euro pro Monat ohne festes Ablaufdatum. Es ist vorstellbar, wenn auch nicht sicher, dass bei diesem Programm das Tempo angezogen wird und dadurch die Verringerung des PEPP zumindest teilweise ausgeglichen wird.
Alles eine Frage des Gleichgewichts
Überdies würden diese „Rekalibrierungen“, auch wenn sie heftig sein sollten, die Dynamik der Kapitalströme bei Staatsanleihen nicht völlig auf den Kopf stellen. Denn die Zentralbanken der grossen Länder halten eine beträchtliche Menge der Staatsschulden ihrer Länder bzw. ihrer Region: in den USA sind es rund 20 %, in der Eurozone und insbesondere in Japan noch mehr. Der blosse Umstand, dass die Zentralbanken den fällig werdenden Bestand reinvestieren, garantiert den Staaten einen erheblichen Teil ihres jährlichen Refinanzierungsbedarfs. Solange also die Zentralbanken ihre Bilanz nicht verringern – und davon ist gegenwärtig in keiner Weise die Rede –, wird den Staaten die Finanzierung wesentlich erleichtert.
Wird dieser Mechanismus ein tragisches Ende nehmen? Vermutlich nicht, denn je mehr die Zentralbanken nach dieser Logik handeln, desto grösser ist ihr Interesse, diesen Mechanismus zu erhalten und sich zu koordinieren, um einen Zusammenbruch des Systems zu vermeiden. Die chronischen und aufeinander abgestimmten Ungleichgewichte schaffen somit die Voraussetzungen für ein stärkeres Gleichgewicht – eines von grossem Format.
Mit Olivier de Berranger, CIO, LFDE und Alexis Bienvenu, Fund Manager, LFDE