Resistente Märkte, oder die Kunst der Anpassung

29.07.2025 16:09

Der nicht enden wollende Strom an Nachrichten über Risikoereignisse macht Anleger krisenmüde. Falsch, sagt Fabiana Fedeli, CIO Equities, Multi Asset und Sustainability von M&G. Investoren handelten rational und passten sich dem neuen Umfeld an. Auch dieses biete Chancen.

Nicht gerade wie ein Chamäleon, aber Investoren passen sich durchaus neuen Verhältnissen an. (Bild: zvg)
Nicht gerade wie ein Chamäleon, aber Investoren passen sich durchaus neuen Verhältnissen an. (Bild: zvg)

Die gängige Auffassung, wie die Finanzmärkte angesichts zunehmender geopolitischer Risiken reagieren, wird derzeit in Frage gestellt. Das reflexhafte Anwenden vermeintlicher Regeln, beispielsweise das Ausweichen in den US-Dollar und US-Staatsanleihen als sichere Häfen bewähre sich nicht mehr, wie das früher der Fall war, sagt CIO Fabiana Fedeli. Man dürfe das aber nicht nur damit erklären, dass die Anleger den Kopf in den Sand steckten und blind für die Risiken geworden seien. Vielmehr sei diese mentale Resilienz zu einem guten Teil durchaus rational.

«Geopolitische Konflikte sind für die Märkte für risikobehaftete Assets nämlich nur in dem Mass relevant, indem sie die zugrundeliegenden Fundamentaldaten der Volkswirtschaften und Unternehmen tatsächlich beeinträchtige», führt die Chefstrateging des britischen Vermögensverwalters M&G aus.

Nicht immer vom Schlimmsten ausgehen

Im Fall des Nahostkonflikts beispielsweise seien, jenseits von Extremszenarien, die Ölversorgung und der Ölpreis der unmittelbare Risikofaktor für die Weltkonjunktur. Die Auswirkungen darauf seien jedoch begrenzt, sofern es nicht zu einer längeren Sperrung der Strasse von Hormus komme. Die Marktteilnehmer seien zur Einschätzung gelangt, dass eine solche Sperrung derzeit unwahrscheinlich sei.

Ebenfalls nicht irrational mit Blick auf das drastisch steigende US-Haushaltsdefizit hält Fedeli den Verkauf amerikanischer Staatsanleihen durch private ausländische Investoren und internationale Zentralbanken, die ihre umfangreichen Positionen neu bewerteten und Risiken mit Bezug zu den USA reduzieren.

Portfolios werden umgeschichtet

«Solche Umschichtungen in der Asset-Allokation haben wir bei unseren Kunden direkt miterlebt. So gehören derzeit riskante Assets aus Europa zu den gefragtesten Anlagen, da dort ein neuer potenzieller Renditetreiber aufgetaucht ist, in Form erhöhter Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur im Inland.»

M&G habe im zweiten Quartal zudem ein gesteigertes Interesse an asiatischen Assets registriert sowie in jüngster Zeit eine generelle Belebung der Nachfrage nach Assets aus Schwellenländern. «Unsere europäischen Kunden haben sich diesbezüglich als erste bewegt, und nun beobachten wir einen ähnlichen Trend bei unseren Kunden in Asien», führt die Strategin aus.

Erwähnenswert sei auch die weitere deutliche Erholung des NASDAQ-Indexes, die sich ebenfalls rational erklären ist. Der Kurseinbruch bei US-Techaktien im Anschluss an die Nachrichten zum chinesischen Konkurrenten DeepSeek sei wohl zu stark ausgefallen. Auch die Berichterstattung der Unternehmen zum ersten Quartal liessen keine Anzeichen für eine Verlangsamung der Investitionen im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) erkennen.

Alternativen zu den USA

Demnach ist es vermutlich nicht so, dass die Anleger die Risiken ignorieren und ihre bewährten Strategien vergessen. Sie passen sich einfach an eine geänderte Struktur des globalen Markts an. Dort seien zwar die USA nach wie vor ein Land mit zahlreichen Anlagemöglichkeiten, aber nicht mehr die einzige attraktive Börse und könnten auch Schwachstellen aufweisen.

«Die Anleger sind also nicht irrational geworden, sondern sie denken anders, agieren vielleicht etwas vorsichtiger und selektiver», fasst Fedeli zusammen. In diesem veränderten Marktumfeld komme es auf nuanciertes, unabhängiges und differenziertes Denken an.

Da viele Zollverhandlungen zwischen den USA und ihren Handelspartnern noch nicht abgeschlossen sind, bestehe weiterhin das Risiko, dass die Unternehmensgewinne sinken und die Stimmung in der Wirtschaft und unter den Verbrauchern erneut einbreche. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene beobachte M&G alle Veränderungen des Verbraucher- und Unternehmensvertrauens, die Vorboten einer veränderten Nachfrage sein könnten, ausserdem natürlich jede Verschlechterung der Beschäftigungssituation.

Der entscheidende Faktor sei das Timing. «Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass Panik und ein zu früher oder zu abrupter Ausstieg aus den Märkten noch nie die optimale Strategie für Anlageerträge waren», erklärt Fedeli.

Da die Absehbarkeit der weiteren Entwicklung aufgrund der Probleme bei politischen Prognosen derzeit eingeschränkt sei, halte M&G Diversifizierung sowohl zwischen als auch innerhalb der Assetklassen für das beste Rezept, um Portfolios in einem unsicheren makroökonomischen Umfeld widerstandsfähiger zu machen. Im Rahmen der speziellen Aktienstrategien konzentriere man sich auf unternehmensspezifische Risiken.

Übergewichtete Aktienquote leicht reduziert

In den Multi Asset-Strategien bestehe noch eine leichte Übergewichtung in Aktien, die M&G kürzlich reduziert haben. Diese Position würden durch eine übergewichtete Duration in Staatsanleihen ausgeglichen, die sich aus Engagements in unterschiedlichen Laufzeitsegmenten speise.

Langfristige Anleihen würden wir weiterhin als Absicherung für den Fall betrachtet, dass sich das makroökonomische Umfeld verschlechtere. In den letzten Monaten hat der britische Asset Manager die Anleihepositionen weiter diversifiziert und in deutsche Bundes-, britische Staats- sowie Schwellenlandanleihen in Lokalwährung investiert.

Bei den Multi-Asset-Portfolios sind der US-Aktienteil unter- und Europa sowie Asien übergewichtet.

Gewinnmitnahmen bei Rüstung

Der längerfristige Ausblick in punkto Innovationen ist unverändert, betont Aktien-CIO Fedeli. Halbleiter würden immer leistungsfähiger, die KI-Fähigkeiten nehmen zu und neue Märkte für Computing und KI entstehen. In Europa hat M&G die Position im Rüstungssektor reduziert. Man sehe nach wie vor Potenzial in diesem Bereich, halte aber eine sorgfältige Auswahl für erforderlich. In einigen Marktsegmenten habe sich eine übermässige Euphorie bemerkbar gemacht. Die Zeithorizonte für die Bereitstellung neuer Waffensysteme seien länger, als vielen bewusst sei.

Weiter erläutert Fedeli, dass man sich in anderen Bereichen und in allen Portfolios auf individuelle Aktienchancen konzentriert, die von Industrieunternehmen über Spezialfinanzdienstleister bis hin zum Automobilsektor konzentriere. «Wir haben auch selektiv Aktien aus dem Gesundheitssektor, die politisch unter Druck geraten sind, hinzugefügt.»

Weiter habe man im Rahmen der globalen Infrastrukturstrategie die Kurserholung bei europäischen und US-Versorgern dazu genutzt, neue Engagements in Asien, besonders in Indien, sowie in anderen Schwellenländern einzugehen.

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