«Beim Treffen in Rimini stellte Mario Draghi eine ernüchternde Diagnose: Europa habe geglaubt, seine wirtschaftliche Stärke reiche aus, um seine geopolitische Rolle zu sichern. Jüngste Ereignisse – der Krieg in der Ukraine, Spannungen mit den USA und die Rivalität mit China – haben diese Illusion jedoch zerstört», schreibt Anthony Penel, Portfolio Manager European Equities, bei Edmond de Rothschild Asset Management.
Dieser Wandel erfordere einen echten Richtungswechsel. In einer Welt, in der lokale wirtschaftliche Aspekte, Sicherheit und technologische Führungsfähigkeit wichtiger seien als die Regeln des Freihandels, dürfe sich Europa nicht länger auf die Rolle des Regulators beschränken. «Es muss selbst zum Akteur werden, seine Ressourcen bündeln und seine Institutionen anpassen. Ohne gemeinsame Verteidigungsstrukturen und Investitionen in strategische Bereiche bleibt die Union verwundbar», schreibt Penel.
Vierzig Jahre nach Inkrafttreten des ‚Single European Act‘ behindern nach wie vor interne Barrieren die Produktivität und verteuern Projekte. Gerade jetzt wirkt das besonders paradox, da Europa bis 2031 rund zwei Billionen Euro in die Verteidigung investieren will. Der Abbau dieser Hürden würde sowohl die Sicherheit als das Wachstum in Europa stärken.
Ob Halbleiter, Künstliche Intelligenz oder Energie: Kein europäisches Land sei gross genug, um diese Sektoren langfristig allein zu tragen. Zersplitterte nationale Initiativen reichten nicht aus. Nur ein gemeinsames Vorgehen könne Europa in eine Position bringen, in der es mit den Weltmächten konkurrieren kann.
Mario Draghi erinnert an die Unterscheidung zwischen ‚guter‘ und ‚schlechter‘ Verschuldung. Strategische Investitionen in Verteidigung, Energie, Infrastruktur oder Zukunftstechnologien gehören eindeutig zur ersten Kategorie. Aufgrund ihrer Dimension seien gemeinsame Finanzierungsformen unverzichtbar, da isolierte Anstrengungen ungenügend sind.
Es sei an der Zeit, vom Zögern zum Handeln überzugehen. Europa habe bewiesen, dass es Tabus überwinden kann: gemeinsame Verschuldung im Rahmen des Wiederaufbauprogramms, Geschlossenheit in der Pandemie und Solidarität im Krieg in der Ukraine. All diese Schritte waren jedoch Reaktionen auf akute Krisen. Nun gelte es, dieselbe Entschlossenheit auch in normalen Zeiten zu zeigen.
«Anleger haben durch diesen Wendepunkt die besondere Chance, in die europäische Souveränität zu investieren. Das bedeutet, von attraktiven Finanzmöglichkeiten in Bereichen wie Verteidigung, Energie, Innovation oder neuen Finanzierungskanälen zu profitieren. Gleichzeitig sind sie Teil eines kollektiven Projekts, das darauf abzielt, die Fähigkeit des Kontinents zu stärken, seine Bürger, seine Werte und seinen Wohlstand in einer unsicheren Welt zu schützen», schreibt Penel.