«Angesichts zunehmender Polarisierung in den USA ziehen sich einige Investoren zurück – das aktive Aktionärsengagement gerät ins Stocken», schreiben Masja Zandbergen-Albers, Head of Sustainability Integration und Michiel van Esch, Head of Voting bei Robeco.
Institutionelle Anleger verfügen über einen langfristigen Anlagehorizont, verfolgen einen systematischen Investitionsansatz und üben durch ihre Stimmrechte erheblichen Einfluss auf Unternehmensentscheidungen aus. Diese Rolle verleiht ihnen eine besondere Hebelwirkung – nicht nur auf die Unternehmen in ihren Portfolios, sondern auch auf die Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt.
«Doch in Zeiten geopolitischer Spannungen, Handelskonflikten, Klimakrise und zunehmender ideologischer Spaltung rund um ESG-Themen tritt die aktive Rolle der Aktionäre zunehmend in den Hintergrund – eine besorgniserregende Entwicklung», schreiben die Autoren.
Lange Zeit übten institutionelle Investoren ihre Rechte eher zurückhaltend aus. Aufgrund breit diversifizierter Portfolios und geringer Beteiligungsquoten neigten sie laut der bekannten Typologie von Albert O. Hirschman eher zum «Exit» als zur «Voice»-Strategie: Im Falle von Meinungsverschiedenheiten mit der Unternehmensführung schien der Verkauf der Anteile einfacher als ein konstruktiver Dialog.
Zwei einschneidende Krisen erschütterten laut Robeco dieses Selbstverständnis: die Bilanzskandale der 1980er- und 1990er-Jahre sowie die Finanzkrise von 2008. Sie offenbarten gravierende Governance-Mängel und die Risiken einer kurzfristig ausgerichteten Kapitalmarktkultur. Die Erwartungen an Investoren änderten sich grundlegend – mehr Kontrolle, mehr Transparenz, mehr Berücksichtigung auch nicht-finanzieller Risiken.
Vor diesem Hintergrund entstand das Konzept des «Stewardship» – ein Ansatz, der auf aktivem Engagement, Verantwortungsbewusstsein und der Begleitung von Unternehmen auf dem Weg zu resilienteren Geschäftsmodellen basiert.
Seit den 2010er-Jahren wurde diese aktive Rolle durch neue Instrumente und regulatorische Rahmenbedingungen gestärkt: Stimmrechtsvertretungen, «Say on Pay»-Initiativen, nationale Stewardship-Codes. Viele grosse institutionelle Anleger professionalisierten ihr Vorgehen – mit spezialisierten Teams, ESG-Prioritäten und aktiver Teilnahme an Generalversammlungen. Engagement wurde zu einem Eckpfeiler nachhaltiger Anlagestrategien.
Heute stehe dieses Modell unter Druck. Mehrere Entwicklungen schränkten seine Wirksamkeit ein. Zum einen stärkten einzelne Rechtsordnungen die Kontrollrechte von Unternehmensgründern – insbesondere im US-Technologiesektor – und unterlaufen so das demokratische Prinzip «eine Aktie, eine Stimme».
Zum anderen wachse der politische Druck: Die Klage von ExxonMobil gegen klimabewusste Aktionäre markiere eine neue Form des Widerstands. In den USA sorgten parlamentarische Untersuchungen zu angeblicher Abstimmungsabsprachen zwischen Vermögensverwaltern und Proxy Advisors für zusätzliche Verunsicherung.
Die ideologische und geografische Spaltung vertieft sich laut Robeco. Während Europa – und zunehmend auch Asien – ESG-Faktoren stärker in die treuhänderische Pflicht integrieren, bleibt der angelsächsische Raum stark auf finanzielle Kennzahlen fokussiert. In den USA gelten ESG-Themen zunehmend als ideologisch aufgeladen. Diese Polarisierung führe dazu, dass sich einige Investoren aus Engagement-Koalitionen zurückziehen. Auch die Unterstützung für klimabezogene Aktionärsanträge dürfte in der kommenden Hauptversammlungssaison abnehmen.
«Ist das das Ende des Stewardship? Keineswegs. Das Modell wandelt sich. In einem polarisierten Umfeld könnte Engagement weniger öffentlich, dafür strategischer erfolgen. Diskretion bedeutet dabei nicht Verzicht, sondern kann effektiver sein, um Unternehmen ohne öffentliche Blossstellung bei ihrer Transformation zu begleiten», erläutern die Spezialisten.
Zugleich gelte es, mit falschen Gegensätzen aufzuräumen: ESG sei «weder Dogma noch Allheilmittel, sondern ein Analyseinstrument, dessen Relevanz vom konkreten Unternehmenskontext und der Fähigkeit zum konstruktiven Dialog über nachhaltige Wertschöpfung abhängt.»
Um langfristig Bestand zu haben, müsse Stewardship seine Legitimität durch Resultate unter Beweis stellen. Moralisches Sendungsbewusstsein allein reiche nicht – konkrete Wirkung für Unternehmen und Endanleger sei gefragt. «Engagement muss mit einer langfristigen Performanceperspektive verknüpft sein, nicht mit ethischer Symbolik.»
«Schliesslich sollten Investoren die Freiheit behalten, ihrer Überzeugung zu folgen – auch wenn der Markt sich uneinig zeigt. Themen wie Governance, Cybersicherheit, Humankapital oder die Energiewende sind bedeutende immaterielle Werte, deren finanzielle Relevanz oft erst mit der Zeit sichtbar wird. Gerade hier liegt die eigentliche Aufgabe von Stewardship: strukturelle Transformationen voraussehen, begleiten und fördern – im Interesse von Unternehmen, Investoren und der Realwirtschaft», so das Fazit.