Im aktuellen Marktausblick analysiert Shaan Raithatha, Senior Economist & Strategist bei Vanguard, die wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Einflussfaktoren für das zweite Halbjahr 2025. Ein Fazit: Für langfristige Anlegerinnen und Anleger sind Obligationen attraktiv.
Die globalen Aktienmärkte haben sich in diesem Jahr bisher gut gehalten, allerdings mit deutlichen Abweichungen: US-Aktien sind in Schweizer Franken um 8 Prozent gesunken während europäische Aktien um 9 Prozent zulegen konnten. Unbestrittene Spitzenreiter waren die europäischen Börsen, die neben günstigen Bewertungen auch von expansiver Geldpolitik und der deutschen Haushaltsausweitung profitierten.
Allerdings haben auch Wechselkurse die Renditen deutlich beeinflusst: Der US-Dollar hat seit Jahresbeginn gegenüber den meisten wichtigen Währungen stark abgewertet, was sich aus Sicht von Anlegerinnen und Anleger mit Basiswährung Euro und Britische Pfund negativ auf die Rendite ausgewirkt hat.
An den Obligationenmärkten trieb die Sorge um steigende Schulden die Renditen in die Höhe. Das US-Haushaltsdefizit wird sich Prognosen zufolge bei 6 bis 7 Prozent des BIP bewegen, wobei ein immer grösserer Teil der Neuschulden zur Deckung von Altschulden verwendet wird. An den Märkten wachsen Zweifel an der Tragfähigkeit des wachsenden US-Schuldenbergs. Auch die Renditen zehnjähriger deutscher Bundesanleihen sind aufgrund von Inflationsrisiken und steigenden Haushaltsdefiziten gestiegen.
Vanguard geht davon aus, dass sich die Zinsen in weiten Teilen der Welt über dem Inflationsniveau einpendeln werden. Das bedeutet: «Für langfristige Anlegerinnen und Anleger sind Obligationen attraktiv, Renditen werden sich jedoch voraussichtlich eher durch Wiederanlage von Kuponzahlungen zu höheren Zinsen und weniger durch steigende Kurse generieren lassen.»
Die US-Aktienrisikoprämie liegt inzwischen nur noch knapp über Null, was laut Raithatha in den letzten 70 Jahren nur zweimal der Fall war – im Vergleich zu Obligationen seien Aktien heute so teuer wie seit fast 25 Jahren nicht mehr. Gleichzeitig seien die Kreditrisikoaufschläge gefallen.
«Insgesamt haben sich die Finanzmärkte in diesem Jahr als robust erwiesen, allerdings war das Bild alles andere als einheitlich. Verstärkt wird die anhaltend hohe Marktvolatilität durch die aktuellen geopolitischen Ereignisse. Diversifizierung ist heute mehr denn je mehr als der sprichwörtliche Free Lunch, sondern die Option, mit der sich Verdauungsstörungen am ehesten vermeiden lassen», schreibt der Experte.
Die US-Wirtschaft habe sich trotz erheblicher wirtschaftspolitischer Risiken in den ersten sechs Monaten des Jahres als belastbar erwiesen. Der Arbeitsmarkt hat sich abgekühlt, bleibt aber stabil, die Inflation lag zuletzt unter den Erwartungen.
«Die Deeskalation im Zollstreit mit China war ein Wendepunkt, der uns veranlasst hat, unsere Prognosen deutlich nach oben zu korrigieren. Die stagflationäre Wirkung der Zölle dürfte geringer ausfallen, das Risiko einer weiteren Eskalation in der Handelspolitik ist deutlich gesunken. In der zweiten Jahreshälfte dürfte vor allem die Finanzpolitik in den Fokus rücken.»
Die US-Notenbank dürfte ihre Zinsen bis auf Weiteres stabil halten, bis Jahresende sieht Vanguard jedoch Spielraum für zwei Zinssenkungen.
Im Euroraum rechnet Vanguard sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr mit einer leicht unterdurchschnittlichen Wachstumsrate von rund 1 Prozent. Auch aufgrund der wachsenden politischen Unsicherheit und höherer Zölle dürfte die Weltwirtschaft an Schwung verlieren – und damit auch die Nachfrage. Die deutsche Haushaltsausweitung und steigende Verteidigungsausgaben innerhalb der EU dürften ihre Wirkung eher im kommenden Jahr entfalten.
«Wir rechnen mit einer weiteren Zinssenkung, wahrscheinlich im September und daher mit einem Leitzins von 1,75 Prozent bis Jahresende, was etwas unter unserer Schätzung des Neutralzinssatzes von 2 bis 2,5 Prozent liegen würde. Die aktuellen Risiken sprechen eher für weitere Zinssenkungen.