«Während medizinische Innovationen und demografische Entwicklungen langfristige Wachstumsimpulse für die Pharmabranche setzen, sorgen kurzfristige Unsicherheiten für eine ambivalente Ausgangslage. Aus Sicht des Corporate Bankings ergibt sich ein komplexes Bild aus Risiken und Chancen», so das Fazit des ING Roundtable Healthcare-Finanzierung & Markttrends.
Ein zentrales Thema für Pharmaunternehmen bleibe der zunehmende Margendruck, insbesondere in etablierten Märkten wie den USA und Europa. Regierungen verschärfen die Preiskontrollen, fordern mehr Transparenz in der Preisbildung. «Im Pharmasektor beobachten wir, dass eine sorgfältige Bonitätsbewertung, verbunden mit einem tieferen Verständnis regulatorischer Risiken an Bedeutung gewinnen. Die Unsicherheit hinsichtlich künftiger Einnahmeströme erfordert konservativere Bewertungsansätze bei Finanzierungen und smartes Vorgehen bei Übernahmen, um Cashflows langfristig zu sichern», erklärt Gregory Lambillon, CEO und Country Manager ING Schweiz beim ING Roundtable mit Fokus auf Finanzierung, Marktdynamik und strategische Positionierung der Healthcare Branche.
Vor dem Hintergrund regulatorischer Umwälzungen gewinnen Standorte mit stabilen Rahmenbedingungen und guter internationaler Anbindung an Bedeutung. Die Schweiz, traditionell ein starker Pharmastandort, könne zu den Profiteuren gehören. «Es ist unbestritten, dass die Schweiz über eine starke F&E-Infrastruktur verfügt und weltweit einen sehr wichtigen Beitrag zur pharmazeutischen Innovation leistet», sagt Diederik Stadig, Healthcare Economist bei ING.
Die internationale Verunsicherung treibe Kapitalflüsse in Richtung Zürich und Basel, nicht nur im Asset Management, sondern auch bei der Neuansiedlung von Forschungseinheiten und Holdingstrukturen. Für Banken eröffne dies neue Cross-Border-Finanzierungspotenziale und stärkt das Geschäft mit multinationalen Kunden.
«Trotz des schwierigen makroökonomischen Umfelds wird erwartet, dass die Fusions- und Übernahmetätigkeit im Pharmasektor aufgrund des steigenden Risikos von Patentklippen konstant bleiben wird – wenn auch selektiver als in den Vorjahren. Grössere Pharmaunternehmen suchen gezielt nach biotechnologischen Ergänzungen im Bereich der seltenen Krankheiten, um Innovationslücken zu schliessen. China wird immer mehr zu einer wichtigen Innovationsquelle, da etablierte grosse Pharmaunternehmen zunehmend nach Lizenzverträgen im Osten suchen», erläutert Stephen Farrelly, ING Global Lead of Pharma & Healthcare.
Die Finanzierungsstruktur solcher M&A Transaktionen werde dabei zunehmend hybrid: Neben klassischen Kreditlinien gewinnen strukturierte Finanzierungen, Earn-Out-Modelle und Partnerschaften an Relevanz. Für Banken heisse das: Sie müssten verstärkt als strategische Berater auftreten und flexible, massgeschneiderte Finanzierungsmodelle anbieten.
Gerade in der Schweiz herrsche nach dem Ausscheiden der Credit Suisse weiterhin hoher Beratungsbedarf im Markt, der ausländischen Banken Chancen bietet. «Branchenkompetenz und internationale Vernetzung sind Wettbewerbsfaktoren, die uns dabei helfen, im Bereich Healthcare deutlich zu wachsen. Dabei setzen wir auch auf Beratungsleistungen für Kapitalmarkttransaktionen, M&A-Prozesse sowie Treasury-Dienstleistungen wie Währungsabsicherung, Liquiditätsmanagement und Zahlungsverkehr», führt Lambillon aus.
Die geopolitischen Spannungen – insbesondere zwischen den USA, China und der EU – werfen lange Schatten auf die globalisierten Lieferketten der Branche. Pharmaunternehmen sehen sich gezwungen, ihre Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern zu reduzieren und neue «Nearshoring»-Strategien zu entwickeln. Dies erfordere erhebliche Investitionen in neue Produktionsstätten und eröffne erhebliche Chancen für Banken mit Projektfinanzierungen, ESG-konformen Krediten und Absicherungsinstrumenten zu punkten.
Der steigende Druck von Investoren, Patienten und Regulierungsbehörden, Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen, verändere die Kapitalkostenstruktur der Branche. Unternehmen mit intransparenten Lieferketten, hohen Emissionen oder Defiziten in der Governance sehen sich laut ING mit wachsendem Refinanzierungsdruck konfrontiert.
Umgekehrt ergeben sich für ESG-orientierte Banken Chancen, durch Green Bonds, Sustainability-linked Loans oder spezielle Advisory-Leistungen neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Die Fähigkeit, Nachhaltigkeit in finanziellen Kennzahlen zu quantifizieren, werde dabei zur Kernkompetenz. Gregory Lambillon: «Über Jahre haben wir uns als ING in verschiedenen Branchen und diversen Märkten das notwendige Know-How angeeignet und passende Produkte entwickelt. Dies ermöglicht uns heute eine Positionierung als führender Ansprechpartner im Markt.»
«Die Pharmabranche befindet sich 2025 in einem Spannungsfeld, für Corporate Banken bedeutet dies eine doppelte Herausforderung: Einerseits erfordert die Komplexität der Branche tiefgreifende Analysefähigkeiten und starke sektorale Spezialisierung, andererseits bietet sie attraktive Möglichkeiten in der strukturierten Finanzierung, bei strategischen Transaktionen und im ESG-Bereich», so das Fazit.