«Jetzt übernimmt die Fiskalpolitik»

12.06.2025 10:32

«Weltweit wird die Fiskalpolitik expansiver, und selbst der sonst eher langweilige japanische Staatsanleihenmarkt war zuletzt volatil. Entwicklungen in Japan können weitreichende Konsequenzen haben, denn das Land ist einer der wichtigsten Gläubiger», schreibt Maya Bhandari, Chief Investment Officer, EMEA – Multi-Asset bei Neuberger Berman.

Maya Bhandari, Chief Investment Officer, EMEA – Multi-Asset bei Neuberger Berman. (Bild pd)
Maya Bhandari, Chief Investment Officer, EMEA – Multi-Asset bei Neuberger Berman. (Bild pd)

Weil die Fiskalpolitik vielerorts jetzt zum wichtigsten wirtschaftspolitischen Instrument werden könnte, sind die Industrieländerrenditen in den letzten gut vier Wochen kräftig gestiegen. An der Spitze stand dabei ausgerechnet ein Land, das sonst eher als langweilig gilt. Die Rede ist von Japan. «Was bedeutet das für andere Regionen, und wo kann das hinführen?», fragt sich Bhandari.

Oberflächlich gesehen möge sich die Lage beruhigt haben. Bei genauerer Betrachtung zeige sich aber eine komplexe Kombination von Risiken, die die Märkte weiter bestimmen dürften.

1. Störungen durch Handelskriege: Im Schnitt dürften die amerikanischen Importzölle bald wieder so hoch sein wie seit den späten 1930ern nicht mehr. Nach Section 899 der «One, Big, Beautiful Bill» könnten bald sogar Zölle auf Dienstleistungen möglich sein, auch wenn es bis dahin wohl noch dauern wird. Die indirekten Folgen dieser Handelskriege – grössere Unsicherheit und schlechte Stimmung – könnten Wachstum und Preisstabilität am Ende laut der CIO sehr viel stärker gefährden als die direkten.

2. Die Geldpolitik zieht sich zurück, die Fiskalpolitik übernimmt: Erstmals seit Jahrzehnten werde die Fiskalpolitik in vielen Ländern zum wichtigsten Instrument. Deutschland hat gerade ein Ausgabenpaket in Höhe eines Fünftels des BIP verabschiedet. In den USA (und vielleicht auch in Grossbritannien) findet gerade ein rascher Kurswechsel statt, von einer restriktiven zu einer expansiveren Fiskalpolitik. Neu im Blickpunkt stehe aber Japan. Japans Schuldenstandsquote ist eine der höchsten der Welt, wobei sich allerdings die meisten Staatsanleihen in den Büchern der Notenbank befinden.

3. Machtlose Geldpolitik: Gerade in den USA scheine die Geldpolitik nicht mehr viel ausrichten zu können. Wenn die Aussenhandelspolitik einen Angebotsschock auslöst, könne die Fed dem nicht viel entgegensetzen. EZB und Bank of England befinden sich laut der Expertin hingegen in einer anderen Lage, da in Europa bei Handelskriegen vor allem Nachfrageschocks drohten. «Zinssenkungen in den USA halten wir, wie viele andere, vor allem bei einem schwächeren Arbeitsmarkt für möglich – aber er reagiert erst spät auf eine nachlassende Konjunktur. Die früher so vorausschauende Geldpolitik scheint reaktiv geworden zu sein und sich jetzt an der Vergangenheit zu orientieren», heisst es bei Neuberger Berman.

4. Grössere weltpolitische Risiken: Der andauernde Krieg zwischen Russland und der Ukraine, die jüngsten Spannungen zwischen Indien und Pakistan und die immer instabilere Lage im Nahen Osten – vor allem im Zusammenhang mit dem Iran – zeigten, wie komplex die Weltpolitik geworden ist. Wenn Anleger die Risiken für die Märkte abschätzen wollen, müssten sie zwischen Drohgebärden und echten Drohungen unterscheiden.

Japan noch immer restriktiver

Die Langfristrenditen sind gestiegen und haben auch in den USA wichtige Marken überschritten. «Echte Aufmerksamkeit verdient aber der sonst eher ruhige japanische Markt. Aus der Vogelperspektive der Asset-Allokation hat er den weltweiten Renditeanstieg zu einem noch wichtigeren Thema gemacht. In manchen Segmenten (etwa zwischen zehn und 30 Jahren) ist die japanische Zinsstrukturkurve heute so steil wie selten», schreibt Bhandari.

Auf den ersten Blick scheine es nur logisch, dass Japan bei einer expansiveren Fiskalpolitik unter einen gewissen Druck gerät. Schliesslich handelt es sich um eines der am höchsten verschuldeten Länder der Welt. Eine mögliche Verdopplung des japanischen Verteidigungsbudgets von 1,6 auf 3 Prozent des BIP im Rahmen eines Nachtragshaushalts, neue Solvenzkapitalregeln für Versicherungen (die ebenso wie die Demografie die Nachfrage nach länger laufenden Anleihen dämpfen), einige recht enttäuschende Anleihenauktionen und die steigende Inflation sorgten für zusätzliche Unruhe.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Industrieländern wird die Geldpolitik in Japan noch immer restriktiver. Die Inflation steigt langsam und gewinnt an Breite; für über 60 Prozent des Tokioter Verbraucherpreisindex liegt sie jetzt über dem 2%-Ziel, und der Leitzins ist mit 0,5 Prozent nach wie vor niedrig. Vielleicht straffe die Bank of Japan ihre Geldpolitik auf sehr viel mehr Wegen als bislang angenommen.

In ihren Büchern befindet sich ein beachtlicher Teil der umlaufenden japanischen Staatsanleihen. Ende 2024 waren es etwa 52 Prozent, nach einem Höchststand von 54 Prozent im 3. Quartal 2023. Der Fed gehören nur 18 Prozent der US-Staatsanleihen, nach einem Maximum von 28 Prozent. Knapp 80 Prozent der Aktiva der japanischen Notenbank entfallen auf diese Staatsanleihen. Davon werden dieses Jahr Titel im Wert von umgerechnet rund 400 Milliarden US-Dollar fällig.

Kürzere Duration

Besonders interessant an diesen Positionen sei aber ihre Duration. Im Schnitt ist sie auf gerade einmal sechs Jahre gefallen, drei Jahre unter der Duration des Gesamtmarktes. Der Bank of Japan gehören also recht wenige lang laufende Titel. Sie kauft zwar weiter Staatsanleihen, straffe aber zugleich faktisch die Geldpolitik.

Vielleicht könnten viele andere Industrieländer aus der Entwicklung in Japan durchaus etwas lernen, wenn sie jetzt von einer expansiven Geldpolitik zu einer expansiven Fiskalpolitik übergehen. Wichtig sei vor allem zweierlei: Erstens müsse sich die Regierung genau überlegen, welche Staatsanleihen sie zur Finanzierung künftiger Ausgaben begibt. So kommen etwa in Grossbritannien jetzt mehr mittlere Laufzeiten an den Markt. Genauso wichtig sei aber, dass die Notenbanken ihre Anleihenkaufprogramme sorgfältig anpassen. Wenn die amerikanische 30-Jahres-Rendite steigt, werden die Finanzbedingungen in den USA straffer, obwohl die Fed die Geldpolitik eigentlich lockern will. Und weil Japan einer der grössten Gläubiger der Welt ist, hätten Entwicklungen dort weltweit besonders grosse Auswirkungen.

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