„Wir haben über Inflation, Inflation, Inflation gesprochen“. Mit diesem Satz fasste Christine Lagarde die Gesprächsinhalte der jüngsten EZB-Sitzung zusammen. Der Begriff „Inflation“ wurde auf dieser Pressekonferenz übrigens nicht weniger als 65 mal verwendet. Auch wenn die Inflation in Frankfurt allem Anschein nach unter genauer Beobachtung steht, könnte man sich durchaus fragen, ob sich Frau Lagarde, die sich selbst als Eule bezeichnete, nicht in einen Strauss verwandelt hat. Als Symbol der Weisheit soll die Eule sie von den Bildern der akkommodierenden Tauben oder restriktiven Falken abheben, mit denen Notenbanker traditionell dargestellt werden. Diese Pressekonferenz deutet jedoch darauf hin, dass sich die EZB und ihre Präsidentin Schritt für Schritt in einer Vogel-Strauss-Politik verrennen. Warum Strauss? Weil dieser Vogel, der bei nahender Gefahr seinen Kopf in den Sand steckt, die Realitätsverweigerung symbolisiert.
Mittlerweile hat die Inflation in der Eurozone den höchsten Stand seit 13 Jahren erreicht. Die langfristige Inflationserwartung der Märkte liegt über der EZB-Zielmarke von 2 %, wenn sie anhand der Swaps für die Inflation in fünf Jahren für fünf Jahre gemessen wird. Aus diesem Grund rechnen die Zinsmärkte bereits im Sommer 2022 mit einer ersten Anhebung der Leitzinsen. Die EZB verdrängt diese Annahme jedoch derzeit.
Was die Verbraucher anbelangt, gibt es in der Eurozone im Gegensatz zu den USA leider keine Erhebungen, an denen sich die von den Haushalten erwartete Preissteigerung genau ablesen lässt. Google-Daten zeigen jedoch die plötzliche Beliebtheit dieses Suchbegriffs in den grossen Volkswirtschaften der Eurozone. Dies ist in Anbetracht der zahlreichen fetten Schlagzeilen über den Anstieg der Energie- und Frachtpreise oder der für das Jahresende angekündigten Engpässe kaum verwunderlich.
Auch für die Unternehmen ist die Inflation der wichtigste Grund zur Besorgnis. Dies belegt der Tenor der Berichtssaison für das dritte Quartal 2021. In den Berichten der Unternehmen des Stoxx 600 Index wird das Wort „Inflation“ durchschnittlich dreimal genannt. Seit 2007 war diese Zahl nicht mehr so hoch.
Man könnte sich daher durchaus fragen, ob die Europäische Zentralbank hinsichtlich der eher strukturellen Beschaffenheit dieses Inflationsschubes nicht irrt. Wenn alle Wirtschaftsakteure diese Nachrichten in ihre wirtschaftlichen Überlegungen einbeziehen, wird dies wahrscheinlich Zweitrundeneffekte nach sich ziehen. Die Anleger sind auf der Suche nach Vermögenswerten, die einem Zyklus mit höherer Inflation standhalten können, wie z. B. Unternehmen, die höhere Preise durchsetzen können. Die Haushalte, deren Kaufkraft erodiert, werden versuchen, Lohnerhöhungen auszuhandeln, um sie zu erhalten. Die Unternehmen, die die steigenden Kosten bisher durch den Mengeneffekt im Zuge der Wiedereröffnung auffingen, werden diese Kosten sicherlich bald auf die Preise für Waren und Dienstleistungen umlegen, um ihre Marge zu erhalten oder sogar zu steigern.
Dennoch gelangt die EZB zu einem ganz anderen Schluss. Sie hält diese Inflationsspitze nach wie vor für vorübergehend, länger zwar, als sie noch vor Monaten erwartet hatte, aber dennoch vergänglich. Es kommt daher für sie nicht infrage, ihre zukunftsgerichteten Hinweise, die berühmte „forward guidance“ zu ändern. Wie lange noch?
Redaktionsschluss: 29.10.2021, Clément Inbona, Fund Manager und Olivier de Berranger, CiO