Nach einer Reihe von Sitzungen, von denen wenig zu erwarten war, machte die Sitzung der EZB vom 22. Juli einen vielversprechenderen Eindruck. Die Erwartungen stiegen, als die Institution in Frankfurt den ursprünglichen Zeitplan erneut umwarf und einige Tage früher die Ergebnisse ihrer Strategieüberprüfung enthüllte. Diese umfasst eine eingehende Analyse ihres Mandatsrahmens und ihres Werkzeugkastens.
Neu in ihrer Form – die EZB zeigte sich entschlossen, mit ihren Äußerungen möglichst viele zu erreichen – war die Pressekonferenz von Christine Lagarde auch Ausdruck einiger bemerkenswerter Entwicklungen grundlegender Natur.
So erläuterte die EZB-Präsidentin das neue Inflationsziel. Sie definiert es als dreibeinig (sic). Das erste Bein sei das Ziel an sich. Schluss mit dem umständlichen „below but close to two percents“. An dessen Stelle tritt ein „symmetrisches“ Ziel von 2 %. Das zweite und das dritte Bein betreffen die Maßnahme an sich: Diese berühmten 2 % sind ein Zielwert im Rahmen der Projektionen der EZB für das laufende Jahr und die beiden folgenden Jahre. Bei der Analyse wird zudem die aktuelle wirtschaftliche Lage berücksichtigt. Beim Grundsätzlichen zeichnen sich allerdings zwei Revolutionen ab.
Neue Komponente zur Messung der Preisentwicklung
Zunächst bezüglich der Messung der Inflation. Diese wird sich insofern weiterentwickeln, da sie die Wohnkosten für Eigentümer durch die Bemessung einer fiktiven Miete berücksichtigt. Da die Preise für Wohnimmobilien auf europäischer Ebene seit 2015 um 3,6 % gestiegen sind und dieser Posten etwa 12 % der Ausgaben der Privathaushalte ausmacht, schätzt man rückblickend, dass seine Aufnahme in die Messung der Inflation ein Plus von 0,4 % pro Jahr ausgemacht hätte. Bedenkt man, dass sich die Kerninflation in diesem Zeitraum schmerzhaft nahe bei 1 % lag, ist das alles andere als neutral. In Europa sind etwa sieben von zehn Haushalten Eigentümer ihrer Wohnung. Die Aufnahme dieser Komponente könnte also durchaus eine deutlich bessere Messung der Preisentwicklung gewährleisten, der die Haushalte tatsächlich ausgesetzt sind. Sobald diese Komponente einbezogen wurde, werden die Ausgaben im Zusammenhang mit der Wohnung den bedeutendsten Posten bei der Messung der Inflation ausmachen, wahrscheinlich mit mehr als 20 %.
Grüner Wandel bei Bilanzverwaltung in Sicht
Die zweite Revolution könnte bei der Couleur der Wertpapierkäufe stattfinden. Auch wenn dieses Thema auf der Pressekonferenz nur andeutungsweise zur Sprache kam, wird die Berücksichtigung der Klimaproblematik bei der Geldpolitik eine grundlegende Veränderung bei der Bilanzverwaltung der EZB nach sich ziehen. So veröffentlichte diese im Juli die Zusammensetzung ihres Portfolios von Unternehmensanleihen nach Sektoren. Hier war eine braun markierte Allokation erkennbar: Energie, Transport, Versorgungsdienstleistungen, umweltverschmutzende Industrien. Die Sektoren mit den größten CO2-Emissionen sind hier stärker vertreten als der Gesamtmarkt. Die grüne Revolution ist zwar noch entfernt, beginnt sich jedoch abzuzeichnen.
Auch wenn die EZB auf den ersten Blick nur schleichend voranzukommen scheint, deutet sich ein tiefgreifender Wandel an.
Mit Olivier de Berranger, CIO, LFDE
Redaktionsschluss : 23.07.2021