«Trotz der anhaltenden Debatte über das Thema Nachhaltigkeit ist es heute ein fester Bestandteil der meisten Unternehmen», schreibt Jenn-Hui Tan, Global Head of Stewardship and Sustainable Investing bei Fidelity.
Eine aktuelle Umfrage, die Fidelity gemeinsam mit Coalition Greenwich durchgeführt hat, zeigt, dass Umwelt-, Sozial- und Governance-Belange weiterhin ganz oben auf der Agenda der Investoren stehen. Die Mehrheit der Unternehmen gab an, dass sie die drei Bereiche als «wichtig» oder «sehr wichtig» für Entscheidungen über die Verteilung des Portfolios erachten.
Das bedeute aber nicht, dass jeder Anleger sie in gleichem Masse berücksichtigt. Nachhaltig zu investieren bedeute einfach, eine bestimmte Gruppe von Risiken zu erkennen - die oft unter dem Begriff ESG zusammengefasst werden - und die Portfolios entsprechend zu verwalten.
Hier gibt es für den Experten viel «Business as usual». Ein Unternehmen, das zu Skandalen neigt, war zum Beispiel schon immer eine riskante Anlage. Aber im letzten Jahrzehnt wurde diese Art von idiosynkratischem Unternehmensrisiko mit systemischeren Risikofaktoren unter dem ESG-Banner verschmolzen, «was dann von der breiteren Gesellschaft häufig falsch interpretiert wurde.»
Diese Verwirrung könnte laut Tan schliesslich dazu führen, dass das Konzept auslaufe oder zumindest in spezifische Risikotypen aufgeteilt werden. Abseits des Rampenlichts werden Unternehmen und Investoren in ihrer Denkweise über ESG-Faktoren immer anspruchsvoller. Dies dürfte eine umfassendere Berücksichtigung wesentlicher Risiken wie der physischen Auswirkungen des Klimawandels und der Kosten für die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen ermöglichen und zu einer ausgereifteren Rolle der Finanzwirtschaft beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft führen.
Die Umfrage ergab, dass Dekarbonisierung das Nachhaltigkeitsthema ist, auf das sich die Investoren derzeit am meisten konzentrieren. Erhebliche Investitionen in saubere Energie in den letzten Jahren scheinen diese Ansicht zu bestätigen.
Und dennoch dekarbonisiere die Welt nicht. Vielmehr steigen die globalen Emissionen weiter an, und extreme Wetterereignisse nehmen in Zahl und Schwere zu. Die Welt ist nun auf dem besten Weg, die 1,5-Grad-Grenze der Erwärmung zu überschreiten, auf die sich die Länder im Rahmen des Pariser Abkommens geeinigt haben.
Infolgedessen richtet sich das Augenmerk zunehmend auf die Gefahren, die extreme Wetterereignisse für die Sachwerte der Unternehmen und ihre Lieferketten darstellen, sowie auf die Auswirkungen der zunehmenden klimabedingten Regulierung.
Zukünftige Klimaangaben wie das neue Rahmenwerk des International Sustainability Standards Board (ISSB) und die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) in der EU verlangen von den Unternehmen Schätzungen über ihre Exposition gegenüber physischen Risiken.
Der Haken liegt für den Experten «wie immer in der Messung». Wie die Umfrage zeigt, ist die Schwierigkeit, die Auswirkungen zu messen, nach wie vor das grösste Hindernis für nachhaltige Investitionen. Solange es keine glaubwürdigen Daten über materielle Risiken gibt, werden die Kosten der Untätigkeit verborgen bleiben. Den Unternehmen wird es schwer fallen, diese in ihre Geschäftsstrategien und Umstellungspläne zu integrieren, und den Anlegern wird es schwer fallen, sie in ihren Bewertungen zu berücksichtigen. «Aus diesem Grund werden nachhaltige Investoren die Entwicklung von Messinstrumenten bis 2025 genau beobachten.»
Das Jahr 2025 wird gemäss Tan auch ein Jahr sein, in dem sich die Investoren stärker darauf konzentrieren werden, wie sie ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen.
Dies geschehe inmitten einer Debatte über die breitere Rolle, die die Finanzen beim Übergang spielen. Einige argumentierten, dass es nicht Aufgabe der Finanzwirtschaft ist, umfassende Nachhaltigkeitsziele wie die Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft zu erreichen. Vielmehr sei die Finanzwelt dazu da, das Kapital bereitzustellen - es sei Aufgabe anderer Akteure wie Regierungen und Regulierungsbehörden, es zu mobilisieren.
Die Umfrage zeigt, dass Investoren die Dekarbonisierung ihres Portfolios immer noch als die zweitbeste Möglichkeit ansehen, positive Ergebnisse zu erzielen (nach thematischen Investitionen). Dieser Ansatz sei zwar bequem zu messen, habe aber nicht nur wenig reale Auswirkungen, sondern trage auch zur Verwirrung um den Begriff ESG bei. «Wenn Sie beispielsweise einfach alle Energieunternehmen aus Ihrem Portfolio entfernen, verhindert dies nicht, dass diese Vermögenswerte in andere Hände gelangen.»
Infolgedessen überlegen immer mehr Investoren, wie sie nicht nur in Klimalösungen investieren, sondern auch in Unternehmen, die diese Lösungen in grossem Massstab umsetzen können (zum Beispiel durch Netzausbau). Sie erwägen auch die Finanzierung des Übergangs für schwer abzubauende Sektoren sowie die Zusammenarbeit mit grösseren Emittenten beim Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft und mit den politischen Entscheidungsträgern, die helfen können, regulatorische, wirtschaftliche und technologische Lücken zu schliessen.
In dem Bemühen, Klima- und andere Nachhaltigkeitsrisiken abzumildern, wurden Politik und Regulierung oft im Eiltempo gemacht. Eile berge jedoch Risiken, wie die jüngsten Diskussionen um die CSRD zeigten. Diese Verordnung verlangt von den Unternehmen möglicherweise, dass sie im Rahmen der doppelten Wesentlichkeitsprüfung Tausende von Kennzahlen angeben - was bedeutet, dass über das finanzielle Risiko hinaus auch die Auswirkungen eines Unternehmens auf andere Interessengruppen und die Gesellschaft als Ganzes betrachtet werden müssen. Das hat zu Gegenreaktionen geführt, und die EU überprüft nun diese und andere Vorschriften, um zu sehen, wo sie die Berichtslast der Unternehmen verringern kann.
«Diese Überarbeitungen, die Überarbeitung der SFDR-Produktverordnung der EU und die Anfechtung des ESG-Konzepts in den USA bringen die Nachhaltigkeit in ihre nächste Phase. Das ist nicht unbedingt eine schlechte Sache. Es könnte mehr Klarheit über die wichtigsten kurz-, mittel- und langfristigen Themen für Unternehmen bringen, was zu aussagekräftigeren und realistischeren Zielen und mehr Ehrlichkeit bei den Kompromissen zwischen den verschiedenen Elementen von E, S und G führen könnte», so das Fazit.