«Die Abschreibung der Credit‑Suisse‑AT1‑Anleihen bleibt eines der umstrittensten Kapitel der jüngeren Finanz- und Regulierungsgeschichte der Schweiz», schreibt Alexander Lindemann, Gründer von Lindemann Law. Hier beantwortet er die wichtigsten Fragen.
                     
		
Welcher ist der Zeitstrahl für die rechtshängigen administrativen Verfahren?
Die FINMA hat den BVG‑Teilentscheid zur Aufhebung der Notverfügung ans Bundesgericht weitergezogen. Parallel sind die übrigen, damit zusammenhängenden Verfahren grundsätzlich sistiert, bis über die Aufhebung rechtskräftig entschieden ist. Das BVG hat zudem noch nicht über die Rückabwicklung (Widergutschrift / Neubegründung der Forderungen und Kupons) entschieden.
Für die voraussichtliche Dauer liefert die offizielle Geschäftsstatistik des BGE belastbare Anhaltspunkte: 2024 betrug bei Beschwerden in öffentlich‑rechtlichen Angelegenheiten die mittlere Dauer bis zur Urteilsfällung 202 Tage und für den gesamten Prozess 224 Tage; 2023 lag sie bei 197 beziehungsweise 217 Tagen. Diese Grössenordnungen decken sich über die Jahre und deuten – unter Berücksichtigung allfälliger Rückweisungen an Vorinstanzen – auf ein mehrstufiges Verfahren hin.
Art. 61 Abs. 1 VwVG erlaubt dem BVG, über die Rückabwicklung selbst zu entscheiden oder mit verbindlichen Weisungen an die FINMA zurückzuweisen – mit erneuter Beschwerdemöglichkeit ans BGE. Realistisch ist daher, dass definitive Endentscheide in sämtlichen administrativen Verfahren frühestens im Verlauf von 2027 zu erwarten sind.
Was bedeutet die Aufhebung der FINMA‑Verfügung vom 19. März 2023? Gilt das auch für Investoren ohne BVG‑Beschwerde?
Geht man davon aus, dass das BGE den BVG‑Teilentscheid bestätigt, bleibt es bei dem Ergebnis des BVG, dass kein Viability Event eingetreten ist, sowie bei der gerichtlichen Aufhebung der FINMA‑Verfügung. Damit entfällt die Rechtsgrundlage für die angeordnete Abschreibung der AT1‑Instrumente. Das führt dazu, dass die Verfügung so behandelt wird, als dürfe sie keine Bindungswirkung entfalten. In der Sache betrifft die Aufhebung sämtliche abgeschriebenen AT1‑Trancen; die konkrete Rückabwicklung ist allerdings noch nicht entschieden.
Welche rechtlichen Möglichkeiten haben AT1‑Eigentümer?
Parteien der BVG‑Verfahren warten auf die Entscheidung zur Rückabwicklung (Widergutschrift / Neubegründung der Forderungen und Kupons). Bis zur Rechtskraft der Aufhebung sind andere Verfahren grundsätzlich sistiert.
Unabhängig davon, ob eine BVG‑Beschwerde erhoben wurde, ist gestützt auf das Verantwortlichkeitsgesetz («VG») eine Staatshaftungsklage möglich. Ein Begehren auf Schadensersatz gegen die Eidgenossenschaft gestützt auf Art. 3 Abs. 1 VG ist zuerst beim Eidgenössischen Finanzdepartement («EFD») einzureichen. Art. 20 VG verweist für die Verjährung auf die Regeln der unerlaubten Handlung nach OR; die schriftliche Geltendmachung beim EFD unterbricht die Verjährung. Reagiert der Bund nicht innert drei Monaten oder lehnt er ab, ist innert weiterer sechs Monate Klage zu erheben, wobei das BGE als einzige Instanz erscheint.
Beispielsweise haben bereits mehrere Pensionskassen rechtliche Schritte angekündigt beziehungsweise eingeleitet: Die Migros‑Pensionskasse hat – neben weiteren Anlegern – Verfahren wegen der AT1‑Abschreibung angestrengt. Insgesamt laufen in der Schweiz nun zahlreiche Verfahren gegen den Bund im Zusammenhang mit der Notfusion/AT1‑Abschreibung. Das ist ein zusätzlicher Hinweis, dass Staatshaftungsansprüche aktiv zu prüfen und fristgerecht zu sichern sind.
Nach einer rechtskräftigen Aufhebung der FINMA-Verfügung steigen auch die Erfolgsaussichten einer Zivilklage gegen UBS, sofern auch die massgeblichen AT1‑Bedingungen (u. a. Viability Event) nicht erfüllt waren. Dabei handelt es sich primär um eine Leistung beziehungsweise Rückabwicklung und eventualiter um Schadensersatz. Die Fachberichterstattung sieht hierin substanzielle zivilrechtliche Angriffspunkte; die einschlägigen AT1-Vertragsbedingungen sind fallbezogen zu prüfen.
Für bestimmte ausländische Investoren können Investitionsschutzabkommen und Schiedsverfahren (allenfalls ICSID) in Betracht fallen; neben den nach schweizerischem Recht vorgesehenen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln sind diese im Einzelfall ebenfalls zu prüfen. Beispielhaft hat die Singapurer Kanzlei Drew & Napier – die rund 560 Anleihegläubiger aus Japan, Hongkong und Singapur vertritt – angekündigt, gestützt auf bilaterale Investitionsschutzabkommen und mit Finanzierung durch die Prozessfinanzierungsgesellschaft Omni Bridgeway, Ansprüche gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft geltend zu machen. Diese Entwicklung illustriert, dass auch treaty‑basierte Investor‑State‑Claims für ausgewählte Anlegerprofile realistische Handlungsoptionen darstellen können.
Welche Risiken birgt der weitere Rechtsweg?
Bis zum BGE-Entscheid über die Aufhebung ist prozessual eine Sistierung zusammenhängender Verfahren sehr wahrscheinlich; der BVG‑Weg zur Rückabwicklung kann zudem via Art. 61 VwVG über Rückweisung an die FINMA führen – mit der Option einer weiteren Beschwerde ans BGE.
Im Verantwortlichkeitsverfahren nach VG ist die Rechtsmässigkeit eines rechtskräftigen Verwaltungsakts gemäss Art. 12 VG nicht (nochmals) überprüfbar. Staatshaftungsklagen enthalten zudem ein bestimmtes politisches Risiko und sind beweisintensiv (natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang, Schadensquantifizierung usw.).
Gute Erfolgsaussichten gegen UBS bestehen zivilrechtlich nur, wenn die Gerichte (letztinstanzlich) zum Schluss kommen, dass kein Viability Event vorlag beziehungsweise die vertraglichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren. Das wäre der Fall in einer definitiven Aufhebung der FINMA-Verfügung vom 19. März 2023 durch das BGE. In diesem Fall sind die einschlägigen AT1-Vertragsbedingungen im Detail zu würdigen und prozessstrategisch zu nutzen.
Soll ich als AT1‑Investor einfach zuwarten und die Abwicklung beobachten?
Nein! Zuwarten ist angesichts laufender Verjährungs‑ und Verwirkungsfristen riskant. Staatshaftungsansprüche gegen den Bund verjähren gemäss Art. 20 Abs. 1 VG i.V.m. Art. 60 Abs. 1 OR relativ drei Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger (für die AT1‑Abschreibung typischerweise März 2023). Art. 20 Abs. 2 S. 2 VG statuiert zudem, dass die schriftliche Eingabe an das EFD die Verjährung unterbricht. Praktisch bedeutet dies: Das Verjährungsrisiko verlangt, ein fundiertes EFD‑Begehren spätestens bis März 2026 einzureichen. Gleichzeitig soll strategisch möglicherweise die Einreichung einer Zivilklage gegen UBS vorbereitet werden.
Fazit
Der BVG‑Teilentscheid hat das Blatt entscheidend gewendet: Die FINMA‑Verfügung vom 19. März 2023 wurde aufgehoben; die Rechtsgrundlage für die vollständige Abschreibung der AT1‑Anleihen über 16,5 Milliarden Franken ist damit (vorbehältlich des BGE‑Urteils) entfallen. UBS erzielte in der Folge des Notverkaufs einen ausserordentlichen Gewinn von rund 29 Milliarden Franken (negativer Goodwill) – ein Betrag, der die AT1‑Tranche nominal deutlich übersteigt.
Der Weg zur Entschädigung bleibt jedoch komplex und fristgetrieben. In solchen Angelegenheiten ist LINDEMANNLAW Ihr Ansprechpartner: unsere Litigation‑Praxis kennt die Materie, die Zuständigkeiten und die Taktik – von der Staatshaftung über die Zivilklage bis zu Schiedsverfahren – und setzt Ihre Ansprüche zielgerichtet durch.