«Der Deal zwischen der US-Regierung und Pfizer über Arzneimittelpreise wird die Margen innovativer Pharmaunternehmen unangetastet lassen. Die Vorteile für Verbraucher werden jedoch gering sein. Darüber hinaus werden die Preise für Generika aufgrund von Zöllen weiterhin steigen», schreiben René Willekes und Diederik Stadig von ING.
Der Deal zwischen der Trump-Regierung und Pfizer schafft nach Monaten der (Zoll-) Unsicherheit Klarheit über die kurzfristige Zukunft des US-amerikanischen patentgeschützten Pharmasektors. Wenn Unternehmen in den USA produzieren und investieren, werden sie von den Zöllen befreit. Das bedeutet, dass das Margenrisiko durch Zölle weitgehend gedämpft wird, da Marken-Pharmaunternehmen aus den USA, Europa und Asien bereits zusätzliche Investitionen in den USA für die nächsten Jahre angekündigt haben.
Neben der Klarheit in Bezug auf die Zölle führt der Trump-Pfizer-Deal zwei neue Preismechanismen ein, die beide gute Nachrichten für die Branche sind, aber die Preise für US-Verbraucher nicht wesentlich senken werden. Erstens wird eine Direct-to-Consumer-Website (DTC) eingerichtet, auf der Verbraucher Markenarzneimittel mit einem Rabatt von 50 Prozent kaufen können.
Zweitens hat Pfizer zugestimmt, die Preise für seine verschreibungspflichtigen Medikamente im Medicaid-Programm auf das Niveau anderer OECD-Länder zu senken (Meistbegünstigungsprinzip oder MFN-Preise). Darüber hinaus erklärte das Weisse Haus, dass Pfizer dies auch für neue innovative Behandlungen tun werde: Diese werden in allen OECD-Ländern zu ähnlichen Preisen eingeführt.
Der Direct-to-Consumer-Teil des Deals wird nur begrenzte Auswirkungen auf Margen und Preise haben. Sollte die Regierung einen ähnlichen Deal mit allen Marken-Pharmaherstellern abschliessen, was durchaus zu erwarten ist, könnte dies zu potenziellen Kosteneinsparungen in Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar für nicht- versicherte Amerikaner führen.
ING kommt zu dieser Schätzung aufgrund der Grösse der nicht versicherten Bevölkerung, die derzeit 8 Prozent beträgt und infolge des One Big Beautiful Bill auf 10 bis 12 Prozent ansteigen könnte. Diese Massnahme würde also etwa 30 Millionen nicht versicherten Amerikanern zugutekommen.
Im Jahr 2018 beliefen sich die durchschnittlichen Auslagen auf 55 Dollar, aber diese Ausgabenverteilung ist verzerrt: Eine Minderheit zahlt viel (zum Beispiel zahlte das 95. Perzentil im selben Jahr über 1’600 Dollar). ING geht daher davon aus, dass die durchschnittlichen Ausgaben in diesem Jahr bei 250 Dollar liegen und dass von den 30 Millionen nicht versicherten Menschen die Hälfte verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen und die andere Hälfte auf eine Verschreibung verzichten wird. Daraus ergibt sich ein potenzieller Aufwand von 3,75 Milliarden Dollar für verschreibungspflichtige Medikamente durch nicht versicherte Amerikaner, von denen die Hälfte eingespart werden könnte, wenn die Vereinbarung mit Pfizer für alle Markenmedikamente gelten würde.
Insgesamt würden also Kosteneinsparungen in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar erzielt, was im Vergleich zum Marktvolumen von 590 Milliarden Dollar für Arzneimittel in den USA eher bescheiden ist. Dennoch würden diese Kosteneinsparungen auf Kosten der «Zwischenhändler» im US-Gesundheitssystem, wie zum Beispiel Pharmacy Benefit Managers (PBMs), erzielt, während die Margen der Markenarzneimittel unverändert blieben.
Der neue Medicaid-Preismechanismus hat auch nur begrenzte Auswirkungen auf die Margen, da Medikamente oft bereits mit einem erheblichen Preisnachlass an Medicaid verkauft werden. Die Verbraucher werden keine Vorteile sehen, da ihre Selbstkosten begrenzt sind (auf 8 Dollar pro Rezept für Amerikaner mit dem niedrigsten Einkommen). Die Einsparungen kämen also den staatlichen Medicaid-Programmen zugute, nicht aber den Verbrauchern.
Dann gibt es noch neue innovative Medikamente, die in den USA zu ähnlichen Preisen wie in vergleichbaren Ländern angeboten werden. Dies ist bereits der Fall, aber manche Regierungen stimmen den Preisen für neue Behandlungen oft nicht zu, da sie diese für zu teuer halten. Dies ist auch der Grund, warum die USA nach wie vor das Land sind, das die besten und innovativsten Behandlungen für seltene Krankheiten anbietet.
Dies könnte durchaus bedeuten, dass sich nichts ändert: Die USA sind bereit, hohe Preise für innovative Medikamente zu zahlen, die andere Nationen nicht zahlen, was zu einer besseren Behandlung von Krankheiten, aber auch zu höheren Medikamentenkosten führt. Dieser Teil der Vereinbarung bietet daher zwar einige Kosteneinsparungen, lässt aber auch die Margen der Markenpharmazeutika unangetastet.
Bleibt noch das Generikasegment, das mehr als 90 Prozent der Verschreibungen ausmacht und weiterhin mit einem Zollsatz von 30 Prozent für China und 50 Prozent für Indien zu kämpfen hat, wo sich der Grossteil der Lieferkette befindet. ING geht davon aus, dass diese Zölle über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben werden, was bedeutet, dass die Preise für Generika allmählich steigen werden, sobald die Lagerbestände aufgebraucht sind und Verträge neu verhandelt werden. Ein Zollsatz von 50 Prozent für Indien wird zu einem Preisanstieg für aus diesem Land importierte Generika von etwa 25 Prozent führen, wie wir in früheren Artikeln berechnet haben.
Angesichts der Tatsache, dass die USA 47 Prozent ihrer Generika aus Indien importieren und Generika etwa 10 Prozent der Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente ausmachen, würde dieser Zoll die Kosten für das US-Gesundheitssystem um etwa 7 Milliarden US-Dollar erhöhen und könnte somit einen Teil der Kosteneinsparungen für nicht versicherte Amerikaner zunichte machen. In jedem Fall wird er die Kosten für das US-Gesundheitssystem insgesamt erhöhen. Darüber hinaus geht der Zoll nicht auf die strategische Abhängigkeit von ausländischen Medikamenten ein, mit der die Trump-Regierung Anfang dieses Jahres ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht hat.
Da der Schweizer Pharmasektor hauptsächlich aus Marken-Pharmaherstellern besteht und viele grössere Unternehmen bereits Investitionen in den USA angekündigt haben, ist dieses Abkommen eine positive Nachricht, da es einen klaren Ausweg aus den Auswirkungen der Zölle bietet: ‘Investieren/ bauen Sie in den USA, dann werden Sie von den Zöllen befreit.’
Dies gilt auch für die zuvor angekündigten Zölle in Höhe von 100 Prozent auf pharmazeutische Produkte, von denen der Schweizer Sektor besonders betroffen ist, da er etwa 7 bis 8 Prozent des Schweizer BIP ausmacht und in den letzten Jahrzehnten der wichtigste Motor für das Exportwachstum war. Da 60 Prozent der Schweizer Pharmaexporte in die USA gehen, könnten die Auswirkungen theoretisch ein BIP-Wachstum von -1,7 Prozent in den ersten zwei Jahren und langfristig von -4,13 Prozent betragen.
Das Risiko durch US-Zölle für den Schweizer Pharmasektor ist also gering, insbesondere weil wir davon ausgehen, dass wichtige Schweizer Akteure wie Roche und Novartis in den nächsten Monaten ähnliche Vereinbarungen mit der US-Regierung abschliessen werden wie Pfizer. ING geht davon aus, weil sowohl Roche (50 Milliarden Dollar) als auch Novartis (23 Milliarden Dollar) Investitionen in den USA angekündigt haben, was bedeutet, dass sie von den Zöllen befreit wären.
Das bedeutet aber auch, dass das grössere Risiko darin besteht, dass neue Investitionen zunehmend in die USA fliessen und damit auf Kosten neuer Investitionen in Europa gehen. Der europäische Pharmasektor exportiert viele Medikamente in die USA, und wenn nach und nach mehr Medikamente in den USA produziert werden, beeinträchtigt dies die längerfristigen Aussichten des Sektors in Europa. Dies gilt insbesondere, da die USA bereits mehr für innovative Medikamente bezahlen und über schnellere Zulassungsverfahren bei der FDA verfügen als ihre europäischen Pendants. Dennoch sind die Aussichten besser, als sie es bei einem Zollsatz von 100 Prozent gewesen wären.
Ein Teilsektor profitiert eindeutig von dieser Unsicherheit: Contract Development Manufacturing Organisations (CDMOs). CDMOs bieten flexible Produktionskapazitäten, die derzeit sehr gefragt sind, da sie eine kurzfristige Lösung für die Kapazitätserweiterung von Pharmaunternehmen in den USA darstellen: Sie verfügen bereits über die entsprechenden Anlagen und werden daher einen Anstieg bei Fusionen und Übernahmen, Investitionen und Wachstum verzeichnen. ING prognostiziert daher für diesen Teilsektor bis 2030 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 8,5 Prozent.
René Willekes verantwortet bei ING Schweiz den Bereich Technologie, Medien, Telekommunikation und Gesundheitswesen. Mit 20 Jahren Erfahrung im Firmen- und Grosskundengeschäft betreut er heute ein Portfolio erstklassiger Schweizer Kunden aus dem Gesundheitssektor, darunter Unternehmen aus den Bereichen Pharma, Life Sciences und Medizintechnik.
Diederik Stadig Sektorökonom, Technologie, Medien und Telekommunikation (TMT) & Gesundheitswesen. Er kam 2023 zu ING und arbeitete zuvor an der Freien Universität Amsterdam. Er hat Abschlüsse in Volkswirtschaftslehre und politischer Ökonomie.