Auch wenn die Covid-Krise nicht die so oft beschworene jähe Zäsur gewesen zu sein scheint, war sie dennoch ein wichtiger Trendbeschleuniger. Ob geldpolitische Expansion, beispiellose staatliche Hilfen, wachsendes Bewusstsein für ökologische Herausforderungen, Boom des E-Commerce und der Telearbeit oder zunehmende Ungleichheit – die Liste der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekte ist lang.
China ist bereit für die Rolle der Supermacht
Auch in geopolitischer Hinsicht wirkte diese Krise wie ein mächtiger Trendbeschleuniger: China hat sich als Supermacht behauptet, und der Riesenpanda mauserte sich zum Drachen. Begünstigt durch die Kontrolle der Pandemie und eine rasche Konjunkturerholung, ist China für die Weltwirtschaft so bedeutend wie noch nie. Auch wenn sich das Image des Reiches der Mitte in Europa oder den USA aufgrund der fehlenden Transparenz über den Ursprung der Gesundheitskrise verschlechterte, hat China nun ein unerschütterliches Selbstvertrauen. China ist bereit für die Rolle der Supermacht, wie es Staatspräsident Xi Jinping vor dem Volkskongress Anfang März deutlich formulierte: „China ist nun auf Augenhöhe mit der Welt.“
Veranschaulicht wird dies durch mehrere aktuelle Ereignisse, wie z. B. das erste diplomatische Treffen zwischen Vertretern Chinas und der USA in der Biden-Ära. Hinsichtlich der Unabhängigkeit Hongkongs oder Taiwans, des Schicksals der uigurischen Minderheit oder der Souveränitätsfragen im Chinesischen Meer scheint kein Kompromiss denkbar. Auf die europäischen Sanktionen infolge der Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren in Xinjiang antwortete China sogleich mit Vergeltungsmassnahmen. Jüngst wurde die ideologische Schlacht auch an der Handelsfront geschlagen. So gab es Boykottaufrufe gegen H&M, Nike und Adidas, die über die Presse und die sozialen Netzwerke in China weit verbreitet wurden. All diese Unternehmen verzichten mittlerweile auf Baumwolle aus Xinjiang – der Region, die unter schwerem Verdacht der Zwangsarbeit steht. Wer es wagt, sich gegen den chinesischen Drachen zu stellen, bekommt unmittelbar die Konsequenzen zu spüren.
China treibt Öffnung seiner Finanzmärkte voran
Wenngleich China seinen souveränen Kurs in gesellschaftlichen oder politischen Fragen bekräftigt, schlägt man auf finanzieller Ebene den umgekehrten Weg ein. Die Öffnung der chinesischen Finanzmärkte war für ausländische Anleger noch nie so wichtig, und die chinesische Währung wird im Wirtschaftsverkehr oder als Reserve immer mehr zu einem weltweiten Massstab. Egal ob Aktien oder Anleihen, der chinesische Wertpapiermarkt liegt in Sachen Gewicht und Vielfalt mit seinem US-Pendant nunmehr fast gleichauf. Anleger auf der Suche nach Diversifizierung wären schlecht beraten, ein Engagement in dieser Region de facto auszuschliessen. Denn sowohl 2020 im Jahr der weltweiten Rezession als auch 2021 in einem vermutlich euphorischen Wachstumsjahr war und wird sie wichtigster Motor des weltweiten Wachstums sein. Dieses Engagement kann unmittelbar durch Anlagen in chinesische Titel oder mittelbar über westliche Unternehmen erfolgen, die einen erheblichen Teil ihres Umsatzes in China erzielen.
Autoren: Olivier de Berranger, CIO, LFDE & Clément Inbona, Fund Manager, LFDE