Globaler Überblick
Die Kursverluste bei Aktien und Anleihen der Schwellenländer im Mai bildeten nur das Vorspiel für eine beschleunigte Abwärtsbewegung im Juni. Der MSCI-Emerging Markets Index verlor über 6 % und liegt damit seit Jahresbeginn bereits rund 10 % im Minus. Als Auslöser wurden allgemein die Äußerungen aus der US-Notenbank (Fed) und zunehmende Sorgen über Chinas Konjunktur genannt. Die Fed stellte unter gewissen Umständen ein vorzeitiges Reduzieren („tapering“) der massiven Anleihekäufe von derzeit monatlich rund 85 Mrd. US-Dollar in Aussicht. Im Zuge dessen verzeichneten US-Staatsanleihen einen der dynamischsten Renditeanstiege der letzten Jahrzehnte. Das brachte weltweit auch fast alle anderen Assetklassen unter Druck, vor allem Aktien und Anleihen, sowie Währungen der Schwellenländer.
Es herrscht weitgehend Konsens darüber, dass die US-Notenbank mit ihren Maßnahmen in den letzten Jahren die Renditen für US-Staatsanleihen künstlich nach unten gedrückt hat. Weniger Einigkeit besteht jedoch darüber, in welchem Ausmaß. Die Ansichten der Marktteilnehmer und Analysten gehen deutlich auseinander bei der Frage, ob die Rendite für 10-jährige US-Treasuries „eigentlich“ über den gegenwärtigen 2,65 % liegen müsste oder darunter. Die Antwort darauf hat erhebliche Implikationen auch für Aktien und Anleihen der Schwellenländer. Sollte der Renditeanstieg nämlich der Beginn eines nachhaltigen Aufwärtstrends bei US-Staatsanleihen sein, dann könnte das ein nachhaltig verbessertes globales Konjunkturbild anzeigen und das wäre sehr positiv für EM-Aktien. Die gegenteilige Interpretation sieht den Renditeanstieg nur als eine vorübergehende Panikreaktion und die Prognosen der Fed als zu optimistisch an. In diesem Falle würden die Renditen wieder sinken und EM-Aktien wohl weiterhin unterdurchschnittlich abschneiden. Die kommenden Monate werden zeigen, welches Lager richtig liegt. Konjunkturdaten und Vorlaufindikatoren deuten bislang jedenfalls auf eine graduelle Verbesserung des weltwirtschaftlichen Umfeldes hin, was sich früher oder später auch positiv auf die EM-Volkswirtschaften auswirken sollte. Auch für China erwarten wir zwar eine Wachstumsverlangsamung, jedoch keinen Konjunktureinbruch und etwaige Schwierigkeiten im Finanzsystem sollten für das Land aus heutiger Sicht absolut beherrschbar bleiben.
Der Zinsanstieg bei langfristigen US-Staatsanleihen und die Furcht, dass auch die kurzfristigen US-Zinsen vielleicht früher steigen werden als bislang erwartet, hat viele Investoren dazu veranlasst, Positionen in Schwellenländeranleihen aufzulösen, die in den zurückliegenden Jahren mittels kurzfristiger US-Dollar-Kredite finanziert worden waren (so genannte „carry-trades“). Die daraus resultierenden Kapitalströme – raus aus Schwellenländerwährungen und zurück in den Dollar – brachten die entsprechenden EM-Währungen unter Druck – was zum Teil weitere Verkäufe von Investoren nach sich zog. Wir erwarten derzeit aber nicht, dass daraus eine Währungskrise wird. Die meisten Schwellenländer verfügen heutzutage über weit größere Fremdwährungsreserven als früher und sollten in der Lage sein, unkontrollierten Währungsabwertungen entgegenzuwirken.
Länderfokus
China
Chinas Wirtschaftsdaten waren zuletzt fast durchwegs schwächer als noch vor wenigen Monaten erwartet. Nach Jahren enorm hohen Kreditwachstums scheinen sich eine Kreditklemme und Liquiditätsengpässe zu entwickeln, vor allem als Folge unzähliger unrentabler Investitionsprojekte. Die jüngsten Äußerungen aus der chinesischen Führungsriege deuten darauf hin, dass man durchaus bereit ist, kurzfristig auch schmerzhafte Konsolidierungen in unrentablen, von Überkapazitäten gekennzeichneten Industrien zu erlauben und damit auch Wachstumseinbußen hinzunehmen. Das bedeutet aber nicht, dass die Konjunktur kollabiert. Eine Abschwächung über das derzeit vom Marktkonsens erwartete Ausmaß hinaus könnte aber eine sehr realistische Option sein und für Chinas Bankensystem wären einige Turbulenzen möglich. Angesichts dessen bestehen noch immer Abwärtsrisiken für chinesische Aktien – trotz der schwachen Kursentwicklung der letzten Jahre. Dennoch könnte in den kommenden Wochen und Monaten der langfristige Tiefpunkt bei den chinesischen Aktienmärkten erreicht werden – die Markterwartungen sind jedenfalls für chinesische Unternehmen inzwischen sehr gering und die Bewertungen teilweise sehr attraktiv. Positive Überraschungen sind daher durchaus möglich und sie könnten eine kräftige Kursrallye auslösen – möglicherweise dann als Startschuss für einen neuen, langfristigen Aufwärtstrend. Unsere grundlegende Einschätzung für chinesische Aktien wird zunehmend positiver – zumal der Kurseinbruch im Juni um weit über 10 % schon Züge von Kapitulation und sehr hohem Pessimismus aufwies und durch die Liquiditätsprobleme im Interbankenmarkt noch verschärft wurde.
Indien
Die indischen Konjunkturdaten signalisieren insgesamt ein schwächeres Wachstum, das zudem auf einem zunehmend anfälligen Fundament steht. Die Inlandsnachfrage bleibt anhaltend schwach und die beschleunigte Abwertung der Währung schürt die Sorgen vor Kapitalabflüssen. Die Verbraucherpreise steigen nach wie vor recht stark und in den kommenden Monaten könnte aufgrund der schwächeren Rupie neuerlicher Druck nach oben entstehen. Immerhin verlor die Landeswährung seit Mai rund 12 % gegenüber dem US-Dollar. Dabei kommt die Währung gleich von mehreren Seiten unter Druck: das hohe Leistungsbilanzdefizit hält den Abwertungsdruck hoch und Versuche der Regierung, Goldimporte zu beschränken blieben bisher weitgehend erfolglos. Von globaler Seite belastet hingegen – ähnlich wie bei anderen Schwellenländern – die Erwartung einer Verlangsamung der ultra-expansiven US-Geldmengenpolitik die indische Kapitalbilanz in Form von Portfolioabflüssen vor allem bei Staatsanleihen. Diese Portfoliozuflüsse sind aber essentiell um das hohe Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Das wiederum schränkt den Spielraum der Notenbank für Zinssenkungen ein, da ansonsten Anreize für zusätzliche Abflüsse entstehen würden. Der Aktienmarkt (gemessen am BSE Sensex) fiel im Juni nur um rund 1,9 % und damit weit weniger als der EM-Durchschnitt. Erstmals in diesem Jahr zogen ausländische institutionelle Anleger dabei Kapital aus Indiens Aktienmarkt ab.?
Brasilien
Das brasilianische Wirtschaftswachstum im ersten Quartal enttäuschte die Erwartungen – statt einem Plus von 2,3 % p.a. wurden nur 1,9 % erreicht. Positiv zu werten ist der Anstieg der Investitionen, während öffentlicher und privater Konsum stark nachließen. Besorgniserregend war der starke Rückgang der Exporte. Das zweite Quartal könnte konjunkturell eine Spur besser ausfallen, als das erste. Die Industrieproduktion im April übertraf das erste Mal seit langem die Erwartungen der Analysten mit einem Wachstum von 8,4 % p.a., getrieben von fast 25 %igem Anstieg der Kapitalgüterproduktion, im Vergleich zum Vorjahr, was ein gutes Zeichen für das Investitionswachstum ist. Trotz der schwachen Konjunktur entschloss sich die Notenbank zu einer Zinsanhebung um 0,5 % auf 8 % – mehr, als vom Marktkonsens erwartet worden war. So begrüßenswert die Konsistenz in der Notenbankpolitik der letzten Monate ist, so fraglich ist, ob diese Zinsanhebung angesichts der fragilen konjunkturellen Lage nicht zu viel des Guten ist.
Mittelabflüsse aus brasilianischen Staatsanleihen und dem Aktienmarkt brachten den real deutlich unter Druck; die Gegenmaßnahmen der Regierung zeigten nur begrenzt Wirkungen. Die Staatsanleiherenditen stiegen um rund einen vollen Prozentpunkt auf über 11 %; der Aktienmarkt brach um rund 10 % ein. Vor allem der Real sowie die Renditen dürften unter Druck bleiben, da die sich verschlechternde Leistungsbilanz, gepaart mit den jüngsten Protesten gegen die Regierung, die Risikoprämien steigen lassen. Für den Aktienmarkt sehen wir eine Seitwärtsbewegung in den nächsten Wochen, gehen jedoch aufgrund des bereits sehr tiefen Kursniveaus von keinen großen Kursverlusten mehr aus.
Russland
Die letzten veröffentlichten Konjunkturdaten Russlands waren enttäuschend, sowohl für die Industrieproduktion, als auch bei der Inlandsnachfrage. Die Regierung geht jedoch von einer leichten Beschleunigung des Wirtschaftswachstums im 2. Quartal aus. Die Notenbank ließ die wichtigsten Zinssätze erwartungsgemäß diesmal noch unverändert, verwies jedoch verbal auf wirtschaftliche Schwächetendenzen und niedrigere Inflationsrisiken im 2. Halbjahr. Russische Anleihen verzeichneten im Juni im Einklang mit dem weltweiten Trend weitere Renditeanstiege. Der Rubel schwächte sich trotz eines relativ stabilen Ölpreises ab und schloss im Monatsvergleich letztlich deutlich tiefer. Der Aktienmarkt verbuchte den fünften Monat in Folge fallende Kurse, hielt sich mit einem Minus von rund 1,5 aber deutlich besser als die meisten anderen Schwellenländer. Der stabile und gegen Monatsende sogar leicht steigende Rohölpreis stabilisierte den Markt. Öl- und Gasaktien verzeichneten zumeist sogar Kurszuwächse, mit Ausnahme des Schwergewichts Gazprom, bei dem diverse negative Nachrichten den Kurs deutlich sinken ließen. Auch Konsumtitel schlossen den Monat zumeist positiv ab.
Polen
In Polen enttäuschten die jüngst veröffentlichten Daten zum Einzelhandel und zur Industrieproduktion und auch die Perspektiven für die nächsten Monate sind nicht allzu gut. Zugleich fällt auch die Inflationsrate weiterhin kräftig. Die Zentralbank hat angesichts der Kombination aus schwächeren Wachstumsaussichten, niedriger Inflation und unverändert negativen Aussichten in West- und Südeuropa den Leitzins Anfang Juli erwartungsgemäß erneut gesenkt. Die verschlechterte Risikobereitschaft der internationalen Investoren brachte dennoch auch polnische Anleihen im Juni unter Druck; die Renditen stiegen weiter an und der Z?oty wertete zum Euro leicht ab. Der Aktienmarkt rutschte nach dem starken Anstieg vom Mai im Einklang mit dem weltweiten Trend kräftig ins Minus und verlor im Juni fast 10 %.
Tschechische Republik
Tschechiens Wirtschaft schrumpfte im 1. Quartal um 1,1 % gegenüber dem Vorquartal. Das ist das sechste negative Quartal in Folge und gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang um 2,2 %. Allerdings zogen sowohl privater Konsum als auch die Exporte leicht an. Da die Leitzinsen bereits faktisch bei null liegen, sind nach wie vor unkonventionelle Maßnahmen im Gespräch, beispielsweise die Schwächung der eigenen Währung. Nach Aussagen der Notenbank ist die Wahrscheinlichkeit für solche Schritte zuletzt spürbar gewachsen. Politische Turbulenzen – etwa der Rücktritt des Premierministers aufgrund einer Korruptionsaffäre – hatten keinen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung der tschechischen Anleihen; diese folgten der Grundstimmung an den globalen Märkten und gaben im Juni nach. Die Krone war ebenfalls schwächer. Der Aktienindex in Prag gab kräftig nach und fiel um rund 9 %.
Ungarn
Die jüngsten Konjunkturdaten in Ungarn überraschen positiv, Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätze waren stärker als von den Analysten erwartet. Das BIP entwickelte sich mit einem Anstieg von 0,7 % im 1. Quartal 2013 gegenüber dem 4. Quartal 2012 besser als befürchtet. Einschränkend ist anzumerken, dass das Wachstum im 1.Quartal vorwiegend dem Aufbau von Lagerbeständen geschuldet war, während alle übrigen Komponenten der Inlandsnachfrage weiterhin schrumpften. Ungarns Zentralbank senkte daher auch Ende Juni erwartungsgemäß den Leitzins und begründete dies mit den schwachen Wirtschaftsaussichten und einer deutlich rückläufigen Inflation. Der ungarische Aktienmarkt war der stärkste der Region und schloss am Monatsende nahezu unverändert.
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Redaktionsschluss: 08.07.2013