«Die Konjunkturabschwächung ist in Sicht»

03.07.2025 14:48

«Durch den Einsatz von Handel als Waffe – sogar gegen langjährige Verbündete –, die ständigen Kurswechsel in der Politik und die Untergrabung des Vertrauens von Haushalten und Unternehmen könnte die Wirtschaftsstrategie von Donald Trump die globale Konjunktur erheblich belasten», schreibt Florence Pisani, Chief Economist bei Candriam.

Florence Pisani, Chief Economist bei Candriam. (Bild pd)
Florence Pisani, Chief Economist bei Candriam. (Bild pd)

Obwohl das Wachstum in China zu Beginn des Jahres solide blieb, deuteten die PMI-Umfragen nun auf eine Abschwächung sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor hin. Die Jugendarbeitslosigkeit – insbesondere unter Hochschulabsolventen – ist nach wie vor hoch, und das Vertrauen der Haushalte sei schwach. Auf die Frage, wie sie ihr Einkommen verwenden wollen, geben sechs von zehn chinesischen Haushalten an, dass sie lieber sparen als konsumieren oder in Immobilien investieren – ein deutlicher Anstieg gegenüber dem letzten Jahrzehnt. Der Deflationsdruck bleibe daher bestehen.

Der Immobiliensektor leide nach wie vor unter dem Überangebot der Vergangenheit und habe sich noch nicht erholt. Gleichzeitig dämpfe die weit verbreitete Überkapazität in vielen Industriezweigen weiterhin die Unternehmensinvestitionen. Infolgedessen sei Chinas Wachstum nach wie vor stark von der Stärke seines Aussenhandels abhängig.

Problematische Abhängigkeit

Angesichts der eskalierenden Handelsspannungen werde diese Abhängigkeit von Exporten zunehmend problematisch. China versucht, die US-Zölle zu umgehen, indem es Exporte über Drittländer umleitet, und den Wachstumsschock durch die Erschliessung neuer Märkte auszugleichen. Diese Strategie stosse jedoch auf wachsenden Widerstand seitens der Handelspartner, von denen viele ebenfalls mit dem Protektionismus der USA und dem Druck der Trump-Regierung konfrontiert sind, den Handel mit China zurückzufahren.

Die 90-tägige «Ruhephase» mit den Vereinigten Staaten verschaffte eine willkommene Atempause. «Aber wenn es nicht zu einer grundlegenden Änderung der US-Handelspolitik kommt, muss Peking in den kommenden Monaten seine innenpolitischen Konjunkturmassnahmen deutlich verstärken, um sein Wachstumsziel von 5 Prozent für 2025 zu erreichen», erläutert Pisani.

Die entscheidende Frage sei jedoch, ob China bereit ist, über kurzfristige Unterstützungsmassnahmen hinauszugehen und sich zu tieferen Strukturreformen seines Sozialmodells zu verpflichten. Die Entwicklung grosszügigerer öffentlicher Gesundheits- und Rentensysteme könnte dazu beitragen, dass Privathaushalte etwas weniger sparen. Sollte China diesen Schritt gehen, wäre dies laut der Expertin eine bedeutende strategische Wende – eine, die einen Übergang zu einem autonomeren Wachstum signalisiere, weniger von der Auslandsnachfrage abhängig sei und damit widerstandsfähiger gegenüber geopolitischen Schocks.

USA: Robustes Wachstum – aber wie lange noch?

Zu Beginn des Jahres wurde die wirtschaftliche Dynamik in den USA weiterhin durch eine starke Binnennachfrage angetrieben. Die Schaffung von Arbeitsplätzen habe sich gehalten, wenn auch mit verlangsamter Geschwindigkeit – von über 200 000 Arbeitsplätzen pro Monat Ende 2024 auf unter 150 000 seit Januar. Unternehmensumfragen deuten nun darauf hin, dass sich das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte abschwächen könnte: Das Vertrauen der Haushalte schwindet, die Investitionsabsichten der Unternehmen haben nachgelassen und die Exportaufträge gehen stark zurück. Die Einschätzung der potenziellen Schwere des Abschwungs bleibe jedoch schwierig.

Die Unsicherheit hinsichtlich der US-Wirtschaftspolitik war selten so gross wie heute. Candriam erwartet eine deutliche Abkühlung der US-Wirtschaft - auf ein Wachstum von knapp 1 Prozent im Jahr 2026. Dabei werde davon ausgegangen, dass sich die Zölle auf einem etwas höheren Niveau (zirka 15 Prozent) stabilisieren, das deutlich unter dem Niveau vom «Tag der Befreiung» liegt.

Ausserdem geht Candriam von einer bescheidenen fiskalischen Unterstützung aus, die im Jahr 2026 etwa 0,3 Prozentpunkte zum BIP beiträgt - weniger als man angesichts der Verschlechterung des staatlichen Primärsaldos erwarten könnte. Tatsächlich werden die geplanten Kürzungen bei wichtigen Sozialprogrammen in erster Linie Haushalte mit niedrigem Einkommen treffen, während ein Grossteil der Steuererleichterungen den Besserverdienenden zugute kommen und eher gespart als verkonsumiert werden.

Angesichts der Ungewissheit über das Wirtschaftswachstum und die Inflation habe die Federal Reserve allen Grund, in den kommenden Monaten vorsichtig zu bleiben. Es sei unwahrscheinlich, dass sie ihren Zinssenkungszyklus wieder aufnimmt, bis sich die Konjunkturabschwächung festgesetzt hat - wahrscheinlich gegen Ende des Jahres.

Ziel schwacher Dollar

Längerfristig könnte Trumps Politik die Wirtschaft laut Pisani auf einen riskanten Kurs bringen. Es wird erwartet, dass das Bundesdefizit in der Nähe von 6,5 Prozent des BIP bleiben wird, so dass die USA bei der nächsten Rezession nur einen sehr begrenzten finanzpolitischen Spielraum hätten. Auch eine strengere Einwanderungspolitik werde das Wachstumspotenzial limitieren. Schliesslich sei das erklärte Ziel der Regierung, den Dollar zu schwächen, mit Risiken behaftet: Anhaltend hohe öffentliche Defizite werden nicht dazu beitragen, die US-Leistungsbilanz wieder ins Gleichgewicht zu bringen, während die «America First»-Politik grosse Volkswirtschaften wie Europa und China dazu ermutige, einen grösseren Teil ihrer Ersparnisse im Inland zu investieren. Dies könnte zu einem anhaltenden Anstieg der Laufzeitprämie für US-Staatsanleihen führen. Indem er mehrere Fronten eröffnet und die ständige Konfrontation sucht, werde Trumps Strategie wahrscheinlich nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen - ausser vielleicht zu einem schwächeren Dollar.

Eurozone: Irland verzerrt das Wachstum

Die Eurozone erlebte im ersten Quartal 2025 einen kräftigen Aufschwung des BIP und verzeichnete eine annualisierte Wachstumsrate von 2,5 Prozent. Ein Grossteil dieses Anstiegs sei jedoch auf einen drastischen Anstieg des irischen BIP um 45 Prozent auf Jahresbasis zurückzuführen, der durch einen Anstieg der pharmazeutischen Exporte im Vorfeld der erwarteten US-Zollerhöhungen verursacht wurde. Ohne Irland bleibt das jährliche Wachstum in der Eurozone mit knapp unter 1 Prozent bescheiden.

Der Konsum habe immer noch Mühe wieder in Schwung zu kommen, da die Haushalte sowohl die wirtschaftliche Lage als auch die Beschäftigungsaussichten zunehmend pessimistischer einschätzten. Die Unternehmensinvestitionen blieben angesichts der anhaltenden Unsicherheit und des schwachen Nachfragewachstums gedämpft. Die geldpolitische Lockerung, die im vergangenen Jahr vorgenommen wurde, dürfte jedoch zu einer Belebung der Wohnungsbauinvestitionen beitragen.

Die künftige Entwicklung der Eurozone wird laut der Expertin stark vom Ergebnis der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten abhängen. Nahezu 2 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Eurozone stammen aus der Wertschöpfung durch den Export verarbeiteter Güter in die USA. Bei den derzeitigen Zollsätzen könnte die amerikanische Handelspolitik das Wachstum der Eurozone um 0,5 Prozent verringern.

Auch Europa könnte unter zusätzlichen Druck geraten, sollte China seine Bemühungen verstärken, in den europäischen Binnenmarkt vorzudringen. Einige dieser Schocks könnten durch den deutschen Finanzplan und die Bemühungen der EU, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, abgefedert werden. Sollten die Handelsspannungen jedoch weiter eskalieren, bestehe die Gefahr einer deutlichen Abkühlung. Dies würde die EZB wahrscheinlich zu weiteren Zinssenkungen veranlassen und den Einlagensatz bis zum Jahresende möglicherweise auf 1,5 Prozent senken.

Deutschland reagiert

Selbst wenn sich das Wachstum verlangsamt, habe Trumps Aussenpolitik zumindest eine positive Folge: Durch die Erschütterung des europäischen Vertrauens in den US-Sicherheitsschirm sei Europa - insbesondere Deutschland - gezwungen zu reagieren. Deutschland war lange Zeit von billiger russischer Energie und einer starken globalen Nachfrage, insbesondere aus China, abhängig und hatte seine Infrastruktur und sozialen Investitionen vernachlässigt. Diese «kurzsichtige Konzentration auf Wettbewerbsfähigkeit und Haushaltsdisziplin» habe ihre Grenzen erreicht: seit 2019 stagniert das deutsche BIP.

In diesem Zusammenhang seien die finanzpolitische Wende unter Bundeskanzler Merz und der Start der EU-Initiative ReArm zu begrüssen. Aber sie werden laut Pisani «nicht ausreichen». Der Bericht von Mario Draghi über die europäische Wettbewerbsfähigkeit lasse keinen Zweifel aufkommen: Die EU muss in den kommenden Jahren mindestens 800 Milliarden Euro pro Jahr oder 5 Prozent des BIP - investieren, um ihren Wettbewerbsvorteil wiederzuerlangen.

Der Vorschlag von Draghi, diese europäischen öffentlichen Güter - Energie, Verteidigung, Innovation - durch die Emission gemeinsamer Schuldtitel zu finanzieren, sei jedoch nach wie vor umstritten. «Für einige EU-Mitglieder sind Haushaltsdisziplin und nationale Souveränität weiterhin nicht verhandelbar. Die Herausforderung ist also nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine politische», so das Fazit.

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