Mit diesem Zitat des ehemaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac ließen sich gut die Äußerungen von Christine Lagarde auf der Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 21. Juli diesen Jahres zusammenfassen.
Der erste Grund hierfür ist der Beschluss, die Leitzinsen um 50 Basispunkte, statt der einige Wochen zuvor angekündigten 25 Basispunkte, anzuheben. Zur Vorbereitung des Ausstiegs aus einem elfjährigen Zeitraum ganz ohne Zinserhöhungen hatte sich die Notenbank mit Sitz in Frankfurt vor einigen Wochen entschieden, das Terrain auf ungewöhnliche Art abzustecken. Statt nach altem Brauch einige schwache Signale durchsickern zu lassen, hatte sie es vorgezogen, im Detail über den Zeitpunkt und das Ausmaß der ersten Anhebung zu informieren: einen Anstieg von 25 Basispunkten am 21. Juli. Zur allgemeinen Überraschung erfolgte am Tag selbst jedoch eine einstimmig beschlossene Anhebung auf 50 Basispunkte.
Innerhalb von nur sechs Wochen hat die EZB also ihrem eigenen Kurs den Rücken gekehrt. Ihre Vorgehensweise ist nun unklar. In einem mehr denn je ungewissen Umfeld im Hinblick auf Inflation, Konjunkturschwächen, Politik und Geopolitik entschließt sich die Zentralbank, auf Sicht zu fahren und sich an den künftigen Wirtschaftsdaten zu orientieren. So tappen die Märkte mehr denn je im Dunkeln.
Neuem Anti-Fragmentierungsinstrument fehlt Klarheit in der Ausgestaltung
Ein weiterer Grund für die Wahl des Zitats liegt in der Erweiterung des Werkzeugarsenals der EZB. Diese hat nun das über Monate herangereifte „Transmission Protection Instrument (TPI)“ auf den Weg gebracht. Als Anti-Fragmentierungsinstrument soll es zu große Abweichungen zwischen den nationalen Zinsen vermeiden. Formal wurde die Ausgestaltung des TPI jedoch lediglich durch eine knappe Pressemitteilung im Anschluss an die Pressekonferenz skizziert. Das machte es Journalisten unmöglich, sich Klarheit über den Inhalt des Instruments zu verschaffen.
Zeichnet sich hier, obgleich der Mechanismus einvernehmlich beschlossen wurde, ein gewisses Unbehagen unter den Mitgliedern des EZB-Rats ab? Im Grunde herrscht auch hier Unklarheit. Die EZB legt bei der Umsetzung und Kalibrierung des TPI ein hohes Maß an Diskretion an den Tag. Die Kriterien für seine Umsetzung in einem bestimmten Land wirken subjektiv und stehen damit aus rechtlicher Sicht womöglich auf wackligen Beinen. Hinzu kommt die politische Krise, in der Italien versinkt. Diese wird in den kommenden Wochen wahrscheinlich zu einem umfassenden Crashtest, wenn die Märkte beginnen, sich etwas eifriger auf den Zins-Spread zwischen Italien und Deutschland zu stürzen. Dessen Niveau nähert sich mit 230 Basispunkten dem kritischen Schwellenwert an.
Diese Kursänderung und Entwicklung lassen sich sicherlich mit der heiklen Lage erklären, in der sich die EZB befindet: Nachdem sie das Ausmaß der hartnäckigen Inflation zu spät erkannt und dann beim Ergreifen angemessener Maßnahmen getrödelt hat, versucht sie nun womöglich, ihre Verspätung aufzuholen. Sie möchte einer Rezession die Stirn bieten können, die Woche für Woche wahrscheinlicher wird. Statt ihre Glaubwürdigkeit nach Kräften zu verteidigen, setzt die Notenbank auf Pragmatismus und geht reaktiv vor. Eine Strategie, um für die nächste Krise besser gerüstet zu sein?
Geschrieben am 22. Juli 22, von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE