Wladimir Putin startete in den frühen Morgenstunden des 24. Februar eine Blitzoffensive gegen die Ukraine. Die wochenlangen diplomatischen Verhandlungen waren vergeblich. Sein Plan stand offenkundig bereits vorher fest, denn diese Kriegserklärung wurde möglicherweise einige Tage zuvor parallel zur Ankündigung des Bruchs des Minsker Abkommens aufgezeichnet. Russlands Einmarsch wurde von nahezu allen Staaten einhellig verurteilt und mischt die Karten des geopolitischen und wirtschaftlichen Gleichgewichts neu.
Wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland
Die Antwort der westlichen Länder auf den Einmarsch in die Ukraine, einem erklärten NATO-Beitrittskandidaten, ließ nicht lange auf sich warten. Da eine militärische Beteiligung ausgeschlossen ist, erfolgt die Intervention auf der wirtschaftlichen Ebene. Obwohl es Meinungsverschiedenheiten über die zu ergreifenden Vergeltungsmaßnahmen gibt, beschlossen die USA, die Europäische Union und Großbritannien allesamt eine schrittweise Reaktion. Aktuell wurde der Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem SWIFT beschlossen, der die russische Wirtschaft von einem Großteil der Welt ausschließt.
Zudem wurden Maßnahmen getroffen, um die Finanzierungswege der russischen Wirtschaft zu blockieren, der Industrie grundlegende Güter und Technologien zu verwehren und Apparatschiks und Oligarchen zu sanktionieren. Wenngleich Russland eine militärische Blitzoffensive führt, um die ukrainische Regierung zu Fall zu bringen, spielt sich der Kampf des Westens auf wirtschaftlicher Seite ab und wird langwierig sein.
Energie- und Rohstoffverknappung erzeugen stärkeren Inflationsdruck
Wirtschaftlich betrachtet hat dieser Konflikt erhebliche Auswirkungen. Diese sind vor allem inflationär, denn Russland und die Ukraine sind wichtige Energie- und Rohstoffproduzenten: Gas, Öl und Industriemetalle aus Russland, landwirtschaftliche Rohstoffe aus der Ukraine. Zu dem pandemiebedingten Inflationsdruck gesellt sich nun also das Risiko einer durch Angebotsverknappung verursachten Inflation, welche die künftigen Entscheidungen der Zentralbanken unter Umständen schwieriger vorhersehbar macht. Dies gilt umso mehr für die EZB, die mit einem uneinheitlichen Inflationsdruck konfrontiert ist, denn im Osten ist die Inflation stärker. Und die Auswirkungen dieser Krise drohen die Inflation aufgrund der größeren Energieabhängigkeit dieser Länder von russischem Öl und Gas weiter zu verstärken.
Was das Wachstum anbelangt, entfallen auf die ukrainische und die russische Wirtschaft weniger als 2 % des weltweiten BIP. Die Gefahr eines langwierigen Konflikts birgt jedoch die Gefahr einer neuen Vertrauenskrise nach den Pandemiewellen der vergangenen zwei Jahre.
An den Finanzmärkten hat der Kreml die erste Schlacht verloren. In den ersten 36 Stunden des Konflikts gab der Leitindex am Handelsplatz Moskau knapp ein Viertel seines Wertes ab, während die europäischen Indizes in demselben Zeitraum lediglich ein Minus von 1 % verzeichneten.
Die Welt ist aus den Fugen geraten
Aus geopolitischer Perspektive hat dieser Konflikt das Potenzial, die Weltordnung neu zu formieren. Seit dem Debakel der Amerikaner in Kabul scheint sich Uncle Sam die Uniform des Weltpolizisten nicht mehr überstreifen zu wollen. Aus geografischer Sicht deutet alles auf die Bildung von zwei Blöcken hin: einen atlantischen Block im Westen mit den USA und Europa und einen chinesisch-russischen Block im Osten, dessen Expansionsbestrebungen weitere ehemalige Sowjetrepubliken treffen könnten.
Peking könnte versucht sein, seinen Einfluss, beginnend mit Taiwan, im Chinesischen Meer auszuweiten. In der Vergangenheit rückte die Europäische Union in Krisenzeiten enger zusammen – und dies dürfte auf militärischer Ebene auch in dieser Krise der Fall sein. Nachdem während der Pandemie die Grundlagen für eine haushaltspolitische Solidarität geschaffen wurden, könnte dieser Konflikt den Weg für eine stärkere und besser organisierte kontinentaleuropäische Militärmacht ebnen.
Redaktionsschluss am 25.2.22 mit Olivier de Berranger, CIO, LFDE