Seit mehreren Monaten ist vor dem Hintergrund der kräftigen Konjunkturerholung und des anhaltenden Inflationsdrucks die Aussicht auf ein Ende der lockeren Geldpolitik eines der zentralen Themen an den Märkten. Nun wurde ein bedeutender Schritt in diese Richtung getan. Die US-Notenbank verkündete offiziell die Drosselung ihrer Wertpapierkaufprogramme (Tapering) um 15 Milliarden Dollar pro Monat und deren geplantes Ende im Juni 2022. Dennoch war die Woche von den Äußerungen verschiedener Zentralbanker geprägt, die sich erneut klar für eine weiterhin lockere Geldpolitik aussprachen.
Die erste Salve wurde von der Europäischen Zentralbank abgefeuert. Christine Lagarde beschwichtigte im Nachgang ihrer recht kritisch kommentierten jüngsten Pressekonferenz, auf der eine Zinsanhebung im Sommer 2022 in Aussicht gestellt worden war. Um die Wogen am Markt zu glätten, schätzte die EZB-Chefin es als sehr unwahrscheinlich ein, dass die Voraussetzungen für eine Zinsanhebung 2022 vorliegen werden, da die mittelfristigen Inflationsaussichten vorerst noch moderat seien.
An demselben Tag verkündete ihr amerikanischer Amtskollege Jerome Powell zwar den Beginn des Taperings, erinnerte jedoch daran, dass zwischen der beginnenden Reduzierung der Wertpapierkäufe und einer möglichen Zinsanhebung kein Zusammenhang bestehe. Laut dem Vorsitzenden des Gouverneursrats werde sich die US-Notenbank „geduldig“ zeigen, bevor sie eine Änderung ihrer Leitzinsen ins Auge fasse. Der Spielraum, den sich die Notenbank beim Tempo des Taperings gewährt, lässt vermuten, dass sie im Falle einer notwendigen Verschärfung ihrer Geldpolitik vor einer Änderung der Zinssätze zuerst die Reduzierung der Wertpapierkäufe beschleunigen wird.
Tags darauf beschloss die Bank of England den Reigen und verkündete überraschend den Status quo, während die meisten Beobachter mit einer Anhebung des Leitzinses gerechnet hatten. Angesichts der jüngsten Äußerungen von Andrew Bailey eine überraschende Entscheidung. Auch darüber hinaus sprachen alle Äußerungen für eine Fortsetzung der lockeren Geldpolitik. Denn der geldpolitische Ausschuss wies auf das Risiko einer langsameren gesamtwirtschaftlichen Dynamik und der Unsicherheit in Bezug auf die Normalisierung des Arbeitsmarktes hin.
Diese Gegenoffensive der „Tauben“ – ein Begriff, mit dem Notenbanker bezeichnet werden, die eine akkommodierende Politik befürworten – könnte sich jedoch als letztes Aufbäumen herausstellen. Die Bank of England dürfte trotz dieser jüngsten Verzögerung ihre Zinssätze sehr bald anheben. Es erscheint zunehmend gewiss, dass die US-Notenbank es ihr im Jahr 2022 nachtun wird. Die Europäische Zentralbank, die weniger unter Druck steht als ihre beiden Pendants, wird trotz allem eine Entscheidung über die Zukunft ihrer Wertpapierkaufprogramme treffen müssen, allen voran über das PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme), das im März 2022 auslaufen soll.
In Wirklichkeit waren die Notenbanker vor allem bestrebt, Zeit zu gewinnen und sich möglichst viele Türen offen zu halten, um eine für die Wirtschaft zu negative Überreaktion zu vermeiden. Das Risiko besteht darin, dass sie letztendlich behind the curve sind, das heißt der Wachstums- und Inflationsdynamik hinterherhinken und Entscheidungen zur falschen Zeit treffen. Vorerst schätzen die Märkte dieses Risiko positiv ein, wie der neuerliche Anstieg der Aktienindizes belegt. Allerdings werden neuerliche starke Arbeitsmarkt- oder Inflationszahlen die Kommunikation der Zentralbanken, die ohnehin auf einem schmalen Grat wandeln, erschweren.
Redaktionsschluss: 05.11.2021 Enguerrand Artaz, Fund Manager und Olivier de Berranger, CIO