Im Interview beleuchtet Alain Barthel, Head of Sales Switzerland bei Eurizon, die zentralen Fragen rund um Handelskonflikte, Währungen, europäische Märkte und die Rolle von ETFs – und wie Anleger sich in diesem Spannungsfeld positionieren können.
Die Liste der Krisen, volatilen Märkte und Zollüberraschungen ist lang. Welche globalen wirtschaftlichen Herausforderungen sehen Sie derzeit als die besorgniserregendsten für Schweizer Anleger?
Alain Barthel: Obwohl die Schweiz wirtschaftlich robust und politisch stabil aufgestellt ist, agieren Schweizer Anleger in einem zunehmend komplexen Umfeld. Der starke Franken bleibt eine Herausforderung – denn wer international investiert, muss entweder Währungsrisiken in Kauf nehmen oder Absicherungskosten schultern.
Vor diesem Hintergrund suchen viele Investoren verstärkt nach stabilen Erträgen im Inland. Die im Vergleich zu anderen Assetklassen attraktiven risikobereinigten Renditen auf dem Schweizer Immobilienmarkt – wie sie etwa im «UBS Switzerland Real Estate Outlook» vom Mai 2025 hervorgehoben wurden – verstärken diesen Trend. Die Kehrseite: Wer sich zu stark auf den heimischen Markt fokussiert, vernachlässigt womöglich die Chancen einer breiteren internationalen Diversifikation.
Ein zusätzlicher Belastungsfaktor sind die inzwischen beschlossenen US-Zölle. Für Schweizer Exporteure gelten künftig Aufschläge von 39 Prozent auf bestimmte Warengruppen – ein massiver Eingriff in bestehende Handelsstrukturen. Die Folgen reichen von direkten Belastungen für exportorientierte Unternehmen bis hin zu indirekten Effekten auf Zulieferketten und Investitionsentscheidungen. Für Anleger bedeutet dies, dass eine sorgfältige Diversifikation und die Berücksichtigung handelspolitischer Risiken unverzichtbar bleiben.
Welche Rolle spielt der wirtschaftliche Machtkampf zwischen den USA und China für die globalen Investitionsströme? Welche Auswirkungen hätte dies?
Trotz der handelspolitischen Achterbahnfahrt zwischen den USA und China seit dem 1. April bleibt die wirtschaftliche Verflechtung der beiden Länder hoch. Ein übersehenes Beispiel aus dem Alltag: Laut «Visual Capitalist» stammen rund 95 Prozent der Ibuprofen-Importe in die USA aus China – und Medikamente sind nur eine von vielen Produktkategorien, in denen die Abhängigkeit besonders deutlich wird.
Gleichzeitig haben sich die Handelsströme jedoch spürbar verschoben: Chinas Exporte in die USA sind zwischen Dezember 2024 und Juli 2025 von 15 auf 9 Prozent zurückgegangen. Im Gegenzug stiegen laut «Apollo Academy» die Ausfuhren in andere Regionen – nach Asien von 49 auf 51 Prozent, nach Europa von 14 auf 16 Prozent und nach Lateinamerika von 7 auf 8 Prozent.
Auf der anderen Seite hält der Rest der Welt erhebliche Anteile am US-Finanzmarkt: Aus dem «Securities Industry and Financial Markets Association 2025 Capital Markets Fact Book» geht hervor, dass ausländische Investoren rund 18,6 Billionen US-Dollar in US-Aktien oder etwa 20 Prozent des Gesamtmarktes, sowie 7 Billionen US-Dollar in US-Staatsanleihen besitzen, das entspricht rund 30 Prozent des Marktes. Angesichts zunehmender Unsicherheit geraten diese Märkte stärker unter Druck. Der US-Dollar könnte zusätzlich unter Druck geraten, wenn Kapitalflüsse verstärkt in andere Märkte umgelenkt werden.
Die USA stehen zudem unter dem Eindruck möglicher neuer Zölle, was bereits erste Bremsspuren bei Unternehmens- und Konsumausgaben hinterlässt. Zwar zeigt sich die Inflation derzeit moderat, doch das Risiko einer Stagflation – also stagnierendem Wachstum bei gleichzeitig steigenden Preisen – bleibt ein reales wirtschaftliches Risiko.
Währungen stehen wieder im Rampenlicht – allen voran der US-Dollar. Was bedeutet die zunehmende Abwertung des US-Dollars für internationale Anleger?
Der US-Dollar ist derzeit künstlich überbewertet – ein Effekt der weltweit anhaltend hohen Nachfrage nach USD-Vermögenswerten. Gleichzeitig verzeichnen die USA seit den 1980er-Jahren dauerhaft hohe Aussenhandelsdefizite. Aktuell belaufen sich die sogenannten Doppeldefizite – also Haushalts- und Handelsdefizit – auf rund drei Billionen US-Dollar. Sollte die Inflation in den USA weiter sinken, ist mit fallenden Zinsen zu rechnen – was auch den Dollar schwächen dürfte.
In turbulenten Zeiten gilt der Schweizer Franken hingegen als sicherer Hafen. Wie nachhaltig ist dieser Status aus heutiger Sicht? Und könnte eine Rückkehr der SNB zur Negativzinspolitik den Franken unter Druck setzen? Welche Auswirkungen hätte dies für Anleger?
Die Schweizerische Nationalbank könnte theoretisch erneut Negativzinsen einführen – doch ein solcher Schritt wäre ein politischer und wirtschaftlicher Balanceakt. Die Schweiz weist seit Jahren konsistente Leistungsbilanzüberschüsse auf und hält die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP auf einem sehr niedrigen Niveau. Das stärkt das langfristige Vertrauen in den Franken – nicht nur bei inländischen Anlegern, sondern auch international.
Zwar hat die Schweizer Wirtschaft in der Vergangenheit ihre Anpassungsfähigkeit immer wieder unter Beweis gestellt. Neu ist jedoch die Kombination aus Zöllen und anhaltender geopolitischer Unsicherheit, die sich zunehmend destabilisierend auswirken könnten. Für Anleger ist es daher entscheidend, die relativen Zinsunterschiede, geeignete Absicherungsstrategien und die makroökonomischen Beweggründe hinter den Entscheidungen der SNB genau zu beobachten.
Derzeit sind alle Augen auf Europa gerichtet. Wie schätzen Sie die Lage ein? Wird sich die aktuelle Stärke des europäischen Aktienmarktes langfristig fortsetzen und welche Sektoren oder Länder könnten besonders attraktive Aussichten bieten?
Nach Jahren der Underperformance gegenüber den USA zeigt der europäische Aktienmarkt zuletzt wieder Stärke. Diese Erholung wird getragen von robusteren Wirtschaftsdaten, einer rückläufigen Inflation und geldpolitischen Signalen, die auf eine lockerere Ausrichtung hindeuten.
Ob diese positive Entwicklung nachhaltig ist, hängt laut Morningstar jedoch von einer Reihe struktureller und zyklischer Faktoren ab. Besonders interessant erscheinen derzeit Sektoren wie Industrietechnologie und Automatisierung, und Konsumgüter, Banken und Versicherungen, sowie grüne Energie und Versorger. Allerdings werden diese Einschätzungen derzeit im Lichte des jüngsten Zollabkommens zwischen den USA und Europa neu bewertet.
Immer mehr Anleger setzen auf ETFs. Wann und wo ist dies Ihrer Meinung nach sinnvoll?
In jedem Fall ist es ein grosser Vorteil, die eigenen Anlageoptionen frei wählen zu können – und dabei professionelle Unterstützung zu erhalten. Genau aus diesem Grund hat Eurizon die Your-Index-SICAV-ETFs ins Leben gerufen, die mittlerweile ein verwaltetes Vermögen von fast fünf Milliarden Euro erreicht haben. Damit zählt Eurizon gemäss Daten von Bloomberg Intelligence vom Juni 2025 bereits zu den Top 15 ETF-Anbietern in Europa.