Marko Papic, macro-geopolitischer Stratege und Keynotespeaker des Richmond PIMS Forums, erläutert im Interview warum wir unser Wissenssystem aktualisieren müssen, wo die Chancen für Anleger liegen und warum Europa in den nächsten Jahren gut abschneiden wird.
Welche geopolitischen Spannungen und globalen Machtverschiebungen haben Ihrer Meinung nach derzeit den grössten potenziellen Einfluss auf die Kapitalmärkte?
Marko Papic: Ein Konflikt zwischen China und Taiwan hätte bei seinem Ausbruch mit Abstand die grössten Auswirkungen auf die Märkte. Meiner Ansicht nach liegt die Wahrscheinlichkeit eines direkten militärischen Konflikts bei etwa 10 Prozent. Das ist zwar gering, aber nicht gering genug, um ihn zu ignorieren.
Abgesehen davon sind keine der anderen Konflikte – Ukraine, Naher Osten oder zwischen Thailand-Kambodscha – für die Märkte relevant. Nach Monaten und Jahren, in denen die Bedeutung einzelner militärischer Konflikte überbewertet wurde, beginnen die Anleger nun, diese seltsame Realität zu erkennen.
Wenn diese Konflikte also keine Rolle spielen, bedeutet das dann, dass Geopolitik irrelevant ist?
Absolut nicht! Sie ist relevant, erfordert jedoch ein differenziertes Verständnis dafür, wie Geopolitik mit den Märkten interagiert. Meiner Ansicht nach bedeutet die Multipolarität der Welt, dass es zu einer erheblichen Neuausrichtung des Handels und der Kapitalströme aus den USA kommt. Dies wird in den nächsten drei bis fünf Jahren so bleiben, bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Dann wird die Underperformance von US-Vermögenswerten im Vergleich zum Rest der Welt ein Ende haben.
Inwieweit verändert die zunehmende geoökonomische Fragmentierung die Spielregeln für globale Investoren?
Die Einführung der Geopolitik, aber auch der ‘neuen Politik’ wie dem Populismus, schreibt die Regeln dessen, was es bedeutet, Investor zu sein, völlig neu! Früher konnte man die Protokolle einer Zentralbanksitzung lesen und entsprechend investieren. Diese Zeiten sind vorbei. Dies ist eine epistemische Herausforderung. Es bedeutet, dass wir unsere eigenen Wissenssysteme aktualisieren und eine Belegschaft mit vielfältigen Kompetenzen einstellen müssen.
Angesichts der eskalierenden geopolitischen Spannungen und makroökonomischen Herausforderungen – wo sehen Sie die Stärken und Schwächen des Finanzplatzes Schweiz? Was müssen Anleger in diesem Zusammenhang besonders beachten?
Die Schweiz sollte eigentlich in einer Welt eskalierender Spannungen und makroökonomischer Herausforderungen florieren. Aus irgendeinem seltsamen Grund hat sie jedoch beschlossen, genau zum falschen Zeitpunkt ihre Neutralität aufzugeben. Andere Finanzplätze – insbesondere die Vereinigten Arabischen Emirate – profitieren davon.
Demokratische Gesellschaften treffen aussenpolitische Entscheidungen in einem differenzierten Prozess, der auch Moralvorstellungen und Normen einbezieht. Daher respektiere ich natürlich die Entscheidung der Schweiz, mit ihrer Neutralität zu verfahren, wie sie es für richtig hält. Und tatenlos zuzusehen, wie Russland in ein anderes europäisches Land einmarschiert, war für die Schweiz unerträglich. Das ist alles verständlich. Die objektive Realität einer multipolaren Welt ist jedoch, dass es keine klaren, dauerhaften Allianzen gibt. Daher ist Flexibilität – und nicht Starrheit – in der Aussenpolitik gefragt.
Sehen Sie auch Chancen im aktuellen Umfeld, die Anleger proaktiv nutzen könnten?
Natürlich! Anleger müssen verstehen, dass Geopolitik kein grösseres Risiko darstellt als Bewertungen oder Momentum. Geopolitik ist einfach da. Sie existiert einfach. Sie ist ein Forschungsgebiet, eine analytische Linse. Als solche birgt sie manchmal Risiken, manchmal Chancen.
Geopolitische Paradigmenwechsel bieten eine Fülle von Chancen. Zum einen dürfte ein US-Dollar Bärenmarkt in den nächsten drei bis fünf Jahren neue Anlagemöglichkeiten in Schwellenländern schaffen. Meine Favoriten sind Lateinamerika, da ich auch ein ‘Rohstoff-Bulle’ bin, insbesondere bei Edel- und Industriemetallen, die Golfstaaten und Südostasien, aufgrund der Risikominderung gegenüber China.
Ich glaube auch, dass Europa in den nächsten drei bis fünf Jahren gut abschneiden wird. Es gibt Reformimpulse, einen M&A-Boom aufgrund der Notwendigkeit, sich auf Grösse zu konzentrieren, und einen Konsens in Bezug auf Investitionen. Sicher, es gibt einige Nachzügler. Frankreich bereitet mir Sorgen. Aber ich bin nicht wegen eines faulen Apfels pessimistisch für die gesamte Region.
Das Richmond PIMS Forum ist ein strategisches Businessforum für Top-Entscheider im Asset Management & Investment und innovative Lösungsanbieter. Das Forum findet dieses Jahr vom 5. – 6. November 2025 im AlpenGold Hotel Davos statt.