«Hinter der diesjährigen Rally an der Hongkonger Börse steht ganz klar ein Thema: Chinas neuer Konsumismus. Die langfristigen ausländischen Investitionen am chinesischen Aktienmarkt liegen zwar weiterhin auf einem mehrjährigen Tiefstand. Das Interesse hat aber erkennbar zugenommen», schreibt Raymond Ma, Chief Investment Officer, Mainland China und Hong Kong, bei Invesco.
Die Konsumgewohnheiten junger Chinesen und die zunehmende Anzahl chinesischer Unternehmen, die Einnahmen aus geistigem Eigentum (Intellectual Property, IP) erwirtschaften, sorgen laut dem Experten weltweit für Aufmerksamkeit.
In einigen chinesischen Branchen seien die Gewinnmargen aufgrund einer hohen Wettbewerbsintensität zwar niedrig. Ma zufolge nimmt die Zahl der chinesischen Unternehmen, die mit eigenen IPs, technologischen Innovationen und Produktdifferenzierung hohe Margen erzielen, jedoch seit einigen Jahren kontinuierlich zu. Noch würden viele westliche börsennotierte Unternehmen höhere Bruttomargen erzielen als ihre chinesischen Konkurrenten. Daher sei Chinas Innovationsstärke entscheidend für die Vermeidung eines ruinösen Wettbewerbs und die Verbesserung der Margen.
Seine Analyse zeigt: Ein 1-prozentiger Anstieg der Investitionen in Forschung und Entwicklung kann zu 1 bis 2 Prozent höheren Bruttomargen führen und chinesischen Unternehmen helfen, sich in der Wertschöpfungskette nach oben zu bewegen. Dies sei der Weg, den China in den nächsten zehn Jahren gehen müsse. Ma zufolge gibt es schon heute in vielen chinesischen Branchen margenstarke Wachstumsunternehmen.
«Am chinesischen Aktienmarkt könnte der durch Technologie und Innovation vorangetriebene Anstieg der Bruttomargen die grösste Anlagestory der nächsten zehn Jahre sein», erläutert der Invesco-Experte. «Höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung könnten Chinas Gesamtbruttomarge auf 30 Prozent steigern und damit zu einer deutlichen Verbesserung der Cashflows und Profitabilität am gesamten Markt führen. Das würde auch den Pro-Kopf-Konsum ankurbeln.»
Ma plädiert für eine Neudefinition des Begriffs «neuer Konsumismus» als einen Trend, der von einer jüngeren Generation vorangetrieben wird, die Produkte nicht mehr nur kauft, sondern ihre Emotionen auf sie projiziert. Wie der Invesco-Experte erklärt, haben das in der chinesischen Ein-Kind-Generation verbreitete Einsamkeitsgefühl und die Substitution persönlicher Beziehungen durch die technologische Kommunikation die emotionale Bindung an Konsumprodukte verstärkt. Dieser Trend habe chinesische Unternehmen mit IP-Produkten mit hohem emotionalem Wert und globalem Potenzial hervorgebracht.
«Die Ein-Kind-Generation gibt es nur in China – das Internet aber ist ein universelles Phänomen. Die Nutzung des Internets kann zu einem Paradoxon führen, bei dem Menschen verbunden zu sein scheinen, sich aber zunehmend isoliert fühlen und daher Ventile für ihre Emotionen suchen. Dieses weltweit verbreitete Gefühl der Einsamkeit stellt einen fruchtbaren Boden für die internationale Expansion chinesischer IP-Unternehmen dar», erklärt Ma.
«Statt vom neuen Konsumismus sollten wir lieber vom ‚Konsumismus der nächsten Generation‘ sprechen. Sein künftiges Wachstum hängt von der Fähigkeit der chinesischen Unternehmen ab, neues geistiges Eigentum mit emotionaler Bindung zu schaffen und in internationalen Märkten Fuss zu fassen.» Diesbezüglich verweist Ma auf die bereits begonnene Expansion chinesischer IP-Unternehmen in Südostasien sowie vereinzelte erfolgreiche Markteintritte in westlichen Industrieländern.
Der Invesco-Experte hält einige «New Consumer»-Aktien mit statischen und nachlaufenden 12-Monats-KGVs von fast 100 oder sogar darüber für hoch bewertet. Im Zuge der eingesetzten Konsolidierung in einigen Bereichen sei die Bewertung des «neuen Konsums» zu einer großen Herausforderung geworden.
Ma empfiehlt den Einsatz mehrerer Bewertungskennzahlen, darunter das PEG-Verhältnis als gängiges Bewertungsmass für Wachstumsaktien sowie «weiche Kennzahlen» wie emotionaler Wert, Nutzerbindung und Langlebigkeit des geistigen Eigentums. «Teuer ist nicht immer wirklich teuer und günstig ist nicht immer wirklich günstig», betont er. Entscheidend sei ein analytischer Rahmen, um zu bewerten, ob ein Unternehmen echte emotionale Bedürfnisse erfüllt.
Weitere wichtige Bewertungsfaktoren seien Variablen wie der Lebenszyklus des IP-basierten Geschäftsmodells, der wiederum von Kreativität und einem anhaltenden Output abhänge. Laut dem Invesco-Experten steht und fällt das Wachstum von Designer-Toys zum Beispiel mit der Fähigkeit der Unternehmen, kontinuierlich neues geistiges Eigentum zu entwickeln oder zu lizenzieren. Ohne Unterstützung durch Filme oder Computerspiele könnten IP-Produkte schnell an Attraktivität verlieren.
Mit Blick auf die nächsten zehn Jahre sieht Ma chinesische IP-Unternehmen am Beginn einer «goldenen Ära». Noch würden die hohen Bewertungen weitgehend vom heimischen Markt getragen – die emotionale Resonanz werde jedoch der Schlüssel zur internationalen Expansion sein. «Die von chinesischen IP-Produkten verkörperten Themen der Einsamkeit und des individuellen Ausdrucks sprechen Konsumenten weltweit an und bilden die kulturelle Grundlage für die Internationalisierung dieser Unternehmen», glaubt der Invesco-Experte.
Seiner Erwartung nach werden sich chinesische Konsumaktien auch im zweiten Halbjahr besser als der Gesamtmarkt entwickeln, wobei vor allem Wachstumsaktien die Performance antreiben dürften. Kategorien wie Designer-Toys und neue Trendgetränke würden vom veränderten Konsumverhalten der Generation Z und der Millennials sowie von der wachsenden Beliebtheit heimischer Marken profitieren. «Die Profitabilitätsunterschiede zwischen den Unternehmen werden weiter zunehmen und die Bewertungen vor allem von der Profitabilität abhängen, da der reine Preiswettbewerb nicht länger tragfähig ist», so sein Fazit.