«Das letzte Quartal des Jahres steht bevor, und viele Konjunkturparameter sind nur schwer einzuschätzen. Sie sind aber entscheidend für das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung risikobehafteter Wertpapiere im neuen Jahr. Hoffen wir, dass alles passt», schreiben Jeff Blazek und Erik L. Knutzen, beide Co-CIO, Multi-Asset Strategies bei Neuberger Berman.
In den 1990ern war oft von der Goldilocks-Wirtschaft die Rede. Gemeint war, dass die Konjunktur weder heiss lief noch zu sehr abkühlte. Es steht für ein stabiles Gleichgewicht von Wachstum und Inflation, das der Fed eine expansive Geldpolitik ermöglicht. Auch jetzt hofften Anleger wieder auf Wachstum ohne Überhitzung, sodass die Inflation weiter nachlässt und eine Rezession ausbleibt. Die jüngsten Daten sprechen tendenziell dafür, dass es so kommt.
Diese Woche wird die Offenmarktausschusssitzung der Fed das wichtigste Marktthema sein. Doch letztlich bestimmen die Konjunkturdaten die weitere Zinsentwicklung. Mit ihnen sollten sich Anleger in den nächsten Quartalen laut den Experten daher genau befassen.
Die Arbeitsmarkt- und Inflationszahlen der letzten drei Monate, darunter die wachsende Zahl von Arbeitslosengeldanträgen in den USA und die niedrigere Verbraucher- und Produzentenpreisinflation, sprechen für eine weitere Lockerung der Geldpolitik. Der Wachstumsausblick bleibe aber offen. Noch wissen man nicht, was Veränderungen der Fundamentaldaten bewirken.
Kann die Wirtschaft trotz eines schwächeren Arbeitsmarktes weiter stabil wachsen? Könne man darauf vertrauen, dass auch weiterhin nur wenige neue Stellen geschaffen oder abgebaut werden? Oder kühlt die Wirtschaft zu sehr ab, sodass die Beschäftigung drastisch einbricht? Ist der Konsum stark genug, um einen schwächeren Arbeitsmarkt abzufedern? Werden die Zölle die Preise auch weiterhin nicht so stark anheizen wie erwartet – oder ist es für eine abschliessende Beurteilung einfach noch zu früh?
Zurzeit steht für Neuberger Berman der Arbeitsmarkt im Mittelpunkt. In den USA war die Beschäftigung ausserhalb der Landwirtschaft zwei Monate in Folge schwach, und jetzt sind überraschenderweise auch die Erstanträge auf Arbeitslosengeld gestiegen – auf hohe 263 000 in der Woche bis zum 6. September. Nach den jüngsten Daten wächst die Beschäftigung jetzt langsamer, und ausserdem wurden nach den vorläufigen jährlichen Revisionen des Bureau of Labor Statistics von April 2024 bis März 2025 schätzungsweise 911 000 Stellen weniger geschaffen als zunächst angenommen.
Demnach ist der monatliche Beschäftigungszuwachs nur halb so hoch wie die zuvor vermuteten 149 000. Die Beschäftigung ausserhalb der Landwirtschaft müsste demnach um 0,6 Prozent nach unten korrigiert werden, so viel wie zuletzt 2009. «Da ausserdem die Arbeitslosenquote steigt, sind das echte Warnsignale», schreiben die Experten.
Dennoch spreche das nach noch nicht für eine Rezession, zumal Volkswirte wegen Trumps Grenz- und Abschiebepolitik mit einem niedrigeren Break-even-Beschäftigungswachstum rechnen. «Dennoch achten wir genau auf mögliche Anzeichen für einen noch schwächeren Arbeitsmarkt.»
Im Juli lieferten Verbraucher- und Produzentenpreise keine eindeutigen Signale, und die Augustzahlen von letzter Woche sprachen für eher massvolle Auswirkungen der Zölle auf die Preise.
Im August stiegen die Verbraucherpreise wie erwartet um 2,9 Prozent zum Vorjahr, nach 2,7 Prozent im Juli, wobei der Kernindex ohne die volatilen Lebensmittel- und Energiepreise wie schon im Juli um 3,1 Prozent zulegte. Im Vormonatsvergleich stiegen die Verbraucherpreise um 0,4 Prozent und lagen damit leicht über den Konsenserwartungen.
Auffälliger ist aber der Rückgang der Produzentenpreisinflation auf nur noch 2,6 Prozent zum Vorjahr im August, deutlich weniger als die 3,3 Prozent vom Juli, die auch für letzten Monat erwartet worden waren. Die Kernrate ging ebenfalls deutlich zurück, von 3,7 Prozent zum Vorjahr auf noch 2,8 Prozent. Im Monatsvergleich fielen die Produzentenpreise sogar um 0,1 Prozent, obwohl 0,3 Prozent Anstieg erwartet worden waren.
Spannend für Anleger seien die Auswirkungen auf die jährliche PCE-Kerninflation, den wichtigsten Inflationsindikator der Fed. Im Juli betrug sie 2,9 Prozent zum Vorjahr. Sie liegt damit noch immer deutlich über dem Zielwert, entwickel sich aber doch wesentlich günstiger, als die meisten Beobachter bei der Einführung der Zölle erwartet hatten. Das mache es der Fed leichter.
Natürlich habe die Beschäftigungsentwicklung schneller nachgelassen als erwartet. Die Fed könnte die Geldpolitik nach neun Monaten Zinspause daher jetzt wieder schneller lockern. Eine Senkung um 25 Basispunkte in dieser Woche scheint sicher. Auch Neuberger Berman rechne damit – und hält jetzt auch drei Zinssenkungen bis zum Jahresende für wahrscheinlicher.
Da sei es nur folgerichtig, wenn auch die Märkte mit einer lockereren Geldpolitik rechnen. Sie gehen aber noch weiter und erwarten Zinssenkungen auch im neuen Jahr, bis auf einen neutralen Zins nahe 3 Prozent. «Aus unserer Sicht könnte das aber zu optimistisch sein. Da die Inflation wohl noch länger über 2 Prozent liegt, muss die Fed ihr doppeltes Mandat im Blick behalten. Die Lockerung der Geldpolitik wird dadurch komplexer und unsicherer, als man es am Markt zu erwarten scheint», heisst es dazu.
Kurz vor Beginn des letzten Quartals des Jahres sehen die Experten «wie schon seit Jahresbeginn gute Gründe für einen optimistischen Konjunkturausblick und eine mittelfristig positive Entwicklung risikobehafteter Wertpapiere.» Dafür sprechen auch die anhaltend guten Unternehmensgewinne, die steigenden Investitionen und die wachsende Zahl von Börsengängen sowie Fusionen und Übernahmen.
Überraschende Arbeitsmarkt- und Inflationszahlen oder andere konjunkturelle oder weltpolitische Ereignisse könnren natürlich immer wieder einmal für Volatilität sorgen. Anleger sollten das bei ihrer Asset-Allokation beachten. Mehr denn je sollte man daher nach Assetklassen diversifizieren.
Günstig ist, dass noch viel Kapital am Geldmarkt geparkt sei. Das könnte mögliche Schocks abfedern und risikobehaftete Wertpapiere stabilisieren, zumal Anleger für Konjunktur und Unternehmensgewinne langfristig optimistisch seien. «Nach dem Ende der derzeitigen Konjunkturdelle halten wir im neuen Jahr ein echtes Gleichgewicht zwischen mehr Wirtschaftswachstum und einer akzeptablen Inflation für möglich. Die Tür zu einer expansiveren Geldpolitik ist offen», so das Fazit.